Von Kamen nach Corleone
soll.
Wie aus dem mir vorliegenden jüngsten Haftbefehl der Staatsanwaltschaft Reggio Calabria hervorgeht, wurde die Wirkung auf die Öffentlichkeit von den Beteiligten akribisch kontrolliert: Die später wegen Mafiazugehörigkeit, Beihilfe und illegalen Waffenbesitzes inhaftierten Schwestern von Giovanni Strangio luden sich aus dem Netz jeden Zeitungsartikel über das Blutbad von Duisburg herunter. Und müssen sich über die Naivität mancher Journalisten amüsiert haben: Nach der Verhaftung von Giovanni Strangio und Francesco Romeo in Amsterdam war berichtet worden, dass Strangio die Sehnsucht nach kalabrischen Spezialitäten zum Verhängnis geworden sei, da seine drei aus San Luca angereisten Schwestern ihrem Bruder nach Amsterdam kalabrischen Nudelauflauf mitgebracht hätten – weshalb die Fahnder den Schwestern von San Luca über Rom und die Schweiz bis nach Amsterdam folgen konnten. Von wegen Nudelauflauf , teilte Giovanni Strangios Schwester Angela Strangio später im Chat einemFreund mit: in ihren Rucksäcken hätten vielmehr Waffen, 3 00 000 Euro und Schachteln mit Neun-Millimeter-Patronen gesteckt.
Später tauchten die Chat-Konversationen der mafiosen Schwestern – eine krude Mischung aus kalabrischem Dialekt, Familienslang und kindlich anmutenden Chat-Kürzeln – minutiös dokumentiert im Haftbefehl der Staatsanwälte von Reggio Calabria wieder auf. Im Chat ließ Angela Strangio auch wissen, wie sehr sie darauf brenne, dass die Polizei endlich ihren Schwager Sebastiano Nirta festnehme, den einzigen der mutmaßlichen Täter, der zweieinhalb Jahre nach den Morden noch auf freiem Fuß war. Ein Vollidiot, der bei der Tat so wenig professionell gewesen sei, dass er nicht mal seine Zigarettenkippen aufgelesen habe. Weshalb die Fahnder auf seine DNA-Spur kamen.
Giovanni Strangio, Giuseppe und Sebastiano Nirta, Francesco Romeo – jeder der mutmaßlichen Täter des Massakers von San Luca ist mit mindestens einem Toten der seit 1991 andauernden Blutfehde verwandt. Alle sind miteinander verschwippt und verschwägert. Und alle haben in Deutschland gearbeitet. Obwohl mancher von ihnen auf der Fahndungsliste der italienischen Polizei stand.
In San Luca haben sich die Clans in mehrstöckigen Häusern hinter Stahlzäunen verbarrikadiert. Häuser, unter denen sich mindestens ein unterirdischer Bunker verbirgt, Luxusbunker mit Klimaanlage und Computer, mit Satellitenfernsehen und Mobilfunkantenne. In Deutschland sind die Mafiosi darum bemüht, nicht aufzufallen. Nicht falsch zu parken. In Kaarst sind Giovanni Strangio, Francesco Romeo und die beiden anderen Komplizen womöglich sogar mit Helm Fahrrad gefahren, haben an der Ampel auf Grün gewartet und zwischendurch ein paar Waffen versteckt, in einem Senffass etwa, so wie die Zastava-Pistole,Modell Skorpion, neun Millimeter, die von der Polizei in Strangios Pizzeria San Michele gefunden wurde. Die Munition steckte in einer Flasche für Tomatensauce. So rekonstruierte es die italienische Staatsanwaltschaft in ihrem Haftbefehl.
Bis zum 15. August 2007, also bis es passierte, haben wir nicht mehr über die Waffe gesprochen. Am 15. August 2007 haben wir uns alle in der Pizzeria San Michele getroffen. Wir alle, Domenico Nirta, Domenico Scipione, Luca Liotino, Francesco Pipicella und ich. Domenico Nirta sagte mir, dass wir sofort in Giovanni Strangios Wohnung Am Siepbach fahren sollten, um dort die Waffe abzuholen, die dort immer noch an der gleichen Stelle liegen sollte. Domenico Nirta wusste nicht, wo sich die Waffe befand. Ich zeigte sie ihm, indem ich sie zusammen mit dem Magazin aus der Schachtel hervorzog. Ich steckte die Waffe in die Außentasche meiner Jacke, eine Winterjacke aus synthetischem Stoff, mit einer mit Pelz eingefassten Kapuze. Die Jacke hängt immer noch am Kleiderhaken in der Wohnung in der Büttgenerstraße 45. Ich habe die Waffe ganz einfach in die Jackentasche geschoben. Domenico Nirta hat das Magazin in die Hosentasche gesteckt. Er trug eine dunkelblaue Jeans.
Schon als Antonio Rechichi, der einstige Pizzabäcker von Tonis Pizza, kurz nach den Morden diese Aussage vor der Duisburger Polizei machte, wurde klar, dass die Qualität der Pizza die geringste Sorge in Tonis Pizza gewesen war. Vielmehr ahnten die Mitarbeiter von Giovanni Strangios Pizzerien, dass bald mehrere Morde passieren würden: Giovanni Strangio hatte nie ein Hehl aus seinenMordplänen gemacht. Im Winter 2007 war er festgenommen worden, weil er während einer
Weitere Kostenlose Bücher