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Von Kamen nach Corleone

Von Kamen nach Corleone

Titel: Von Kamen nach Corleone Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Reski Petra
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dass der Straftatbestand »Mafiazugehörigkeit« europaweit aufgestellt und vereinheitlicht wird? Dass das europäische Parlament die Existenz der Mafia anerkennt? Dass Geldwäsche kein Kavaliersdelikt ist, sondern bedeutet, die Marktgesetze außer Kraft zu setzen?
    »Ist den Deutschen klar, dass die ’Ndrangheta auch in Deutschland die Verwaltung unterwandert, die lokalen Behörden infiltriert – um den Markt zu beherrschen?«, fragte Gratteri. »Dass sie mit dem Geld aus dem Drogengeschäft auch Informationen kauft? Zeitungen, Fernsehen, Journalisten? Weil es der Mafia wichtig ist, die öffentliche Meinung glauben zu machen, dass die Mafia eine romantische Idee wäre, so etwas wie Robin Hood?«
    Am Nachmittag glitzerte das Meer unter Gratteris Fenster wie ein Opal. Containerschiffe passierten die Meerenge, sie zogen weiße Schweife hinter sich her, die wie Kratzer auf einem Juwel wirkten. Gratteri blickte auf seine zusammengebundenen Aktenbündel. Und auf seine Uhr. Und dann rief er seine Leibwächter. Damit sie mich zum Hotel begleiteten.
     
    Inzwischen bin ich am Dellplatz angekommen, im Herzen von Duisburg. Vor der Sankt-Joseph-Kirche spielen Kinder. Neugierig laufen sie herbei, um den Spider zu begutachten – was ihre auf einer schmalen Bank sitzenden Mütter argwöhnisch beobachten. Als die Kinder immer noch dastehen und das Auto anstarren, zischen die Frauen wie wütende Schwanenmütter und ziehen die Kinder weg.
    Die Kirche ist eine renovierte Kriegsruine, eine im Ruhrgebiet verbreitete Kreuzung aus Neugotik und Fünfzigerjahre. Sonntags feiert die italienische Gemeinde in dieser Kirche ihren Gottesdienst. Ob manches Gemeindemitglied nach der Messe in das gegenüberliegende Restaurant La Gioconda zum Mittagessen einkehrt, zu einem ausgiebigen Familienessen, so wie es in Italien üblich ist? Lange, schwere Mittagessen, die von allen Anwesenden gehasst werden, denen sich aber niemand zu entziehen wagt?
    Von innen sieht das La Gioconda aus wie ein ethnologisches Museum, das den Versuch unternommen hat, ein typisches Ruhrgebietswohnzimmer der siebziger Jahre nachzubauen: Die Wände sind mit Holz vertäfelt, über den Tischen hängen mit Rüschen geschmückte Küchenlampen. Ein paar rustikale Holzbalken fehlen ebenso wenig wie Genreszenen vom ländlichen Leben in Italien in Öl: vollbusige Frauen mit Körben voll Obst auf dem Kopf und großäugige Kinder. Und natürlich die Mona Lisa, la Gioconda , als Stoffdruck, als Puzzle und als Karikatur. Siebziger Jahre pur, es fehlt nur noch der Käseigel. Offenbar hat niemand gewagt, die Einrichtung zu verändern, und die Mona Lisa lächelte schon von der Wand, als Francesco Romeo, einer der mutmaßlichen Täter des Duisburger Massakers, hier arbeitete.
    Erleichtert stelle ich fest, dass ich nicht der einzige Gastbin, am Nebentisch sitzen vier schwarzhaarige Frauen, die aussehen, als wollten sie gleich Tarantella tanzen, und sprechen, als hätten sie nie eine andere Luft geatmet als die des Duisburger Dellplatzes: »Datt hat die doch gesacht, watt die gekriecht hat!«, ruft eine, bevor sie an ihrem Marsala nippt, den der Kellner zusammen mit der Rechnung an den Tisch gebracht hat. Schweigend vertiefen sich alle in eine komplizierte Bruchrechnung, denn am Ende wird alles ordentlich geteilt, wie es sich in Deutschland gehört.
    Mit jener gewissen Verdrießlichkeit italienischer Gastronome, die in Deutschland schon fast zum Kulturgut gehört, schiebt sich der Kellner an meinen Tisch. Kein Wort zu viel. Kein Lächeln. Nicht mal ein Kräuseln seiner Oberlippe gestattet er sich. Er reicht mir die Speisekarte und blickt über mich hinweg – als sei er ein Abgesandter im Feindesland. Einer, der sich im Dienst einer höheren Sache damit erniedrigt, meine Bestellung entgegenzunehmen: Spaghetti alla Norma.
    Wenn man damit beschäftigt ist, Waffen zu verstecken und Kokain samt den zugehörigen Streckmitteln in Reserverädern von Holland über das Ruhrgebiet nach Italien zu bringen, bleibt die Kundenpflege in den Restaurants natürlich etwas auf der Strecke: Nach den Festnahmen im Februar 2010 wurde bekannt, dass nicht nur der mutmaßliche Killer Giovanni Strangio und sein Schwager Francesco Romeo mit der Gastronomie in Duisburg und am Niederrhein engstens vertraut waren; Giovanni Strangio betrieb die Pizzerien Tonis Pizza und San Michele in Kaarst, Francesco Romeo hatte im La Gioconda gearbeitet. Auch die beiden weiteren mutmaßlichen Täter Giuseppe und Sebastiano Nirta kannten

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