Von Kamen nach Corleone
zu werden. Er war inzwischen Spezialist für das, was die Polizisten in ihrem Abkürzungswahn TKÜ nennen, Telekommunikationsüberwachung. Also abhören, mitlesen, verwanzen, verfolgen. Mit teuren IMSI-Catchern etwa , mit denen die Fahnder Handys abhören und den Standort der »Zielperson« feststellen können – jedenfalls wenn das jeweilige Innenministerium bereit ist, für die Anschaffung des IMSI-Catchers dreihunderttausend Euro auszugeben. Worüber Wirth bei der Tagung seinen Kollegen berichtet hatte.
Er hatte den Händedruck einer Schraubzwinge und erzählte beim Essen über jene Jahre, die er damit verbracht hatte, sich in die Psyche eines Mafiosos einzufühlen. Dazu gehörte auch, dem Büro, in dem die Vernehmungen geführt wurden, einen italienischen Hauch zu verschaffen, mit dem obligatorischen Carabinieri-Kalender und dem Foto der ermordeten Staatsanwälte Falcone und Borsellino. Mit Espresso. Damit sich Basile heimisch fühlte. In jeder Hinsicht.
Es habe ihn vor allem erstaunt, wie perfekt sich der Mafiakiller Basile anpassen konnte, sagte Wirth. Wie vollendet unauffällig Basile war. So perfekt, dass er eine Zeit lang sogar in Mülheim neben einem Richter gewohnt habe. Einen besseren Nachbarn als diesen freundlichen, bescheidenen und unaufdringlichen Mafioso hätte man sich nicht wünschen können.
Die Mafia werde in Deutschland nicht als Bedrohung empfunden, weil ihre Verbrechen so sauber seien, sagte Wirth. Im subjektiven Empfinden der Bürger sei ein Wohnungseinbruch schlimmer als die Geldwäsche von zehn Millionen Euro. Dann fügte er an: »Wir haben in Deutschland keine toten Richter und keine toten Staatsanwälte. Sonst sähe die Gesetzgebung anders aus.«
An den Nebentischen des Piccolo Mondo vertieften sich die Kriminaldirektoren, Dezernatsleiter und Einsatzleiter weiter in ihre Pasta – auch weil sie einander, bei allem Respekt, herzlich misstrauten, wie ich in den Gesprächen mit ihnen feststellen konnte. Egal, ob sie aus Bayern, Berlin, Thüringen oder Nordrhein-Westfalen kamen. Natürlich kannten alle die Kritik der Italiener am deutschen Rechtssystem – Mafiazugehörigkeit ist kein Delikt, Abhören praktisch unmöglich, Beschlagnahmung von Mafiagütern schwierig und die Beweislastumkehr unmöglich, weil es in Deutschland nie durchsetzbar sein wird, dass nicht die Polizei, sondern der Investor belegen muss, dass sein Geld aus legalen und sauberen Quellen kommt. Diese Einschätzung war aber auch die einzige, die alle teilten. Ansonsten hielten die einen die anderen für ahnungslos.
Wenig später traf ich in Rom Vincenzo Macrì, den stellvertretenden Leiter der Nationalen Antimafiabehörde – in einer barocken Festung mit von Abgasen geschwärzten Quadern und löchrigem Linoleum. Der einzige Schmuckin Macrìs Büro ist ein Ficus Benjamini im ewigen Herbst. Gegenüber von seinem Schreibtisch stand ein Fernseher, auf dem der Teletext lief. Macrì ist einer der profundesten Analytiker der ’Ndrangheta. Seit dreißig Jahren ist er Antimafiastaatsanwalt. Er stammt aus Reggio Calabria und kennt alle Clans der ’Ndrangheta. Er war Augenzeuge ihrer Entwicklung von der bäuerlichen Mafia der sechziger Jahre bis zum multinationalen Mafiakonzern der Gegenwart.
Mit leiser Stimme sprach er darüber, dass die ’Ndrangheta ihre Investitionen in Deutschland mit den in den siebziger Jahren verdienten Entführungsgeldern begann – was ihr jenen Quantensprung ermöglichte, der sie an die Spitze der italienischen Mafiaorganisationen katapultierte. Allein im Jahr 1977 hatte die ’Ndrangheta 75 Menschen, meist norditalienische Industrielle, entführt und in den Wäldern des Aspromonte versteckt. Das erpresste Geld investierte die ’Ndrangheta vor allem in den Heroinhandel, der bis dahin ausschließlich in der Hand der sizilianischen Cosa Nostra gewesen war. Erst die Entführungen hatten der ’Ndrangheta das nötige Bargeld verschafft, ohne das man im Drogenhandel keine Geschäfte macht. Auf den Heroinhandel der achtziger Jahre folgte der Kokainhandel der neunziger Jahre. Die ’Ndrangheta hatte schon immer eine Nase für den Rausch, der gerade en vogue war.
Ein großer Teil der Drogengelder wurde in Deutschland investiert. Speziell von den mächtigen Clans aus der Provinz Locri: aus den Mafiadörfern San Luca, Africo, Plati. Die in größter Eintracht in Deutschland mit zwei weiteren Clans zusammenarbeiten, mit den Farao aus Crotone und den Carelli aus Cosenza.
Noch besser liefen die Geschäfte
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