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Von Kamen nach Corleone

Von Kamen nach Corleone

Titel: Von Kamen nach Corleone Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Reski Petra
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abzuschaffen. In Zukunft dürfe nur noch derjenige abgehört werden, dessen Schuld bereits bewiesen wurde. Für Journalisten, die aus Abhörprotokollen zitieren, seien Strafen von drei bis fünf Jahren vorgesehen. Der italienische Justizminister habe hervorgehoben, dass mit der Abschaffung des Abhörgesetzes die europäische Menschenrechtskonvention endlich auch in Italien respektiert werde.
    Und Macrì sagte: »Das ist das Ende.«

6
    Als ich kurz hinter Erkrath bin, frage ich mich, ob ich einen Abstecher nach Willich machen soll, jenem niederrheinischen Städtchen, in dem Simone Provenzano, der Bruder des Bosses Bernardo Provenzano, viele Jahre gelebt hat. Andererseits habe ich auch noch eine Verabredung in Gevelsberg, mit Don Cataldo, dem Pfarrer der italienischen Gemeinde, dem ich ein Buch bringen soll, das eine italienische Freundin geschrieben hat. Weder Willich noch Gevelsberg liegen auf dem Weg nach Sizilien. Willich liegt westlich von mir, Gevelsberg östlich. Ich blicke in den Himmel, der inzwischen etwas wolkenverhangen ist, als könnte er mir ein Zeichen geben.
    Wie oft werden die Söhne von Bernardo Provenzano ihren Onkel in Willich besucht haben? Ein Mal pro Jahr oder öfter? Ob die beiden Provenzano-Söhne es genossen haben, dass sie dort niemand kannte? Dass sie hier nicht die Söhne des Bosses waren, sondern einfach nur zwei italienische Jungen?
    Als Paolo Provenzano seine Zeit als Fremdsprachenassistent im September 2005 in Schwerte antrat, begleitete ihn sein Bruder Angelo bei seinem Umzug. Und etliche Polizisten in Zivil. Schon als die beiden Provenzanos in Palermo mit der Fähre nach Genua übersetzten, steckte die ganze Schiffskabine voller Wanzen. Die beiden jungenSizilianer ahnten das. Sie sind mit dem Wissen auf gewachsen, dass die Ermittler jede ihrer Unterhaltungen belauschen, ihre Post und ihre Computer durchsuchen. Und deshalb sprechen die Provenzano-Söhne das Wort »Vater« nie aus. Er ist nur: »er«. Allmächtig, allwissend, allgegenwärtig. Ein padre padrino , wie es in Süditalien üblich ist. Ein absoluter Herrscher, dem Respekt zu erweisen die erste Pflicht aller ist. Und wie bei allen Söhnen, die ein von ihren Vätern bestimmtes Leben führen, gibt es Augenblicke, in denen sich die Söhne von seiner Allgegenwart Luft verschaffen müssen. Umso mehr, als Paolo und Angelo keine Kinder mehr sind, sondern in jenem Spätsommer im Jahr 2005 bereits zweiundzwanzig und neunundzwanzig Jahre alt waren. Der einzige Unterschied zu anderen Söhnen liegt bei Paolo und Angelo Provenzano darin, dass die Polizei ihre Gespräche minuziös protokollierte. Diesen Ermittlungsunterlagen zufolge entspann sich folgender Dialog zwischen den beiden Brüdern.
     
    Es gab immer Dinge, die mich gestört haben. Zum Beispiel, als er uns aufforderte, nach Corleone zurückzukehren, da mussten wir gehen, egal, was für beschissene Probleme wir gerade hatten. Hat das vielleicht jemanden gekümmert? Und auch jetzt, als ich am ersten freien Samstag von meiner neuen Arbeit in Deutschland gekommen bin, da mussten wir wieder dahin, es endete wieder damit, dass wir da (in seinem Versteck) saßen. Ich weiß nicht, welcher Sinn darin liegen soll. Ich persönlich habe überhaupt kein Interesse an einer solchen Unterredung, an einem Dialog mit ihm. Mit mir hat es so etwas wie einen Meinungsaustausch sowieso nie gegeben. Als ich mein Examen gemacht habe und die letzte Prüfung ablegen musste,hat es kein Schwein interessiert, ob ich vielleicht Probleme haben könnte. Stattdessen aber musste ich dahin, um bei ihm stumm in der Ecke herumzustehen. Wie immer, wenn ich dahin gehe. Ich mache bei ihm ja nichts anderes. Du warst immer mehr als ich in die Angelegenheiten einbezogen, ich aber habe von klein auf immer nur stumm in der Ecke gestanden, wie eine Statue.
     
    Angelo, der Ältere, versuchte seinen jüngeren Bruder zu beschwichtigen. Ihn davon zu überzeugen, dass es nicht die Schuld des Vaters war, dass er untertauchen musste. War er nicht auch ein Opfer der Umstände, so wie alle flüchtigen Bosse? »Paolo, weißt du, was ich darüber denke? Er ist durch Zufall da gelandet.«
    Aber Paolo ließ sich nicht besänftigen. Vielleicht gelang es ihm nicht mehr, an das von dem Vater gepflegte Bild des Erdulders zu glauben. Der für sein Schicksal nicht verantwortlich ist. Der, wenn er nicht zufällig in die Mühlen der Justiz geraten wäre, munter im Wohnzimmer der Familie säße. Und der deshalb für das Leben, in dem seine Söhne

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