Von Kamen nach Corleone
Mafia in Deutschland gebe. Und schon gar nicht in Berlin unter den italienischen Gastronomen. Die Berliner Schutzgelderpresser seien keine Mafiosi, sondern nur dumme kleine Jungs gewesen. Sein Einwurf ermunterte einen neben ihm sitzenden Sizilianer, sich auch zu Wort zu melden. »Mafia, Mafia, was ist das schon?«, rief er auf Italienisch. »Wir Italiener werden doch alle als Mafiosi betrachtet!« Und ein anderer rief, dass die Initiative »Mafia? Nein danke!« von Laura Garavini und Bernd Finger nur dazu diene, die Konkurrenz unter den italienischen Gastronomen auszuschalten, weil diejenigen italienischen Gastronomen, die sich der Initiative anschlössen, mehr verdienen würden.
Bei der nächsten Raststätte fahre ich ab. Ich brauche einen Kaffee. Vor meinen Augen taucht etwas auf, das wie der Pavillon eines Kurorchesters aussieht. Weil ich seit vielen Jahren nicht mehr mit dem Auto durch Deutschland gefahrenbin, ist mir die rasante Entwicklung des deutschen Raststättenwesens entgangen. Die Raststätten, an die ich mich noch aus der Zeit erinnere, als wir mit dem alten Renault von Kamen nach Corleone gefahren sind, umwehte der herbe Charme von Justizvollzugsanstalten. Sie rochen nach Frittierfett und Currywürsten, die seit dem frühen Morgen auf dem Rost gelegen hatten. Dagegen ist die Raststätte, die ich jetzt betrete, ein Therapiezentrum, eine Wohlfühloase, in der die Autofahrer mit Stofftieren verhätschelt werden, mit CDs im Sonderangebot, mit Bestsellern und Zeitungen, mit einem Geldautomaten und diversen Mittagsmenüs: rustikale bis mediterrane Küche. Ein Burger-King fehlt genauso wenig wie eine Espresso-Bar, von Segafredo natürlich. Die den Reisenden vor die Wahl zwischen Espresso originale, ristretto, lungo und macchiato stellt. Selbstverständlich bekommt man alle Kaffeespezialitäten auch to go . Hinter der Theke steht eine Frau mit einem roten Schiffchen auf dem Haar. Guten Tag, zwitschert sie, was darf es denn sein? Cappuccinokleingroß, Espressoeinfachdoppelt?
Wie immer überfordert mich so viel Auswahl. Ich hatte einen deutschen Autobahnfilterkaffee erwartet und keine italienische Segafredo-Kollektion. Als ich nur einen einfachen Espresso bestelle, blickt mich die Frau mit dem Schiffchen etwas enttäuscht an, weil sie ihre Kreativität mit Schaumgebirgen, Schokostreuseln und Kakaopuder an mir nicht ausleben kann.
Ich nippe an dem Espresso und bin in Gedanken immer noch in den BKA-Bericht vertieft, der sich auf manchen Seiten liest wie ein Kompendium unternehmerischer Wundergeschichten. Etwa die von jenem italienischen Kellner in Leipzig, der sich nach geeigneten Investitionsmöglichkeiten für einen international gesuchten Camorraboss umschaute,der sich bei dem Kellner versteckt hielt und mit ihm sogar den Ausweis tauschte, weil sie sich so frappierend ähnlich sehen. Der Kellner riet zu Investitionen in der Mongolei. Daraufhin habe der Boss zehn Millionen Dollar in ein Bergbauunternehmen in der Mongolei investiert und damit gewaschen. Damals hätten viele Italiener einen Flug in die Mongolei gebucht, stellte das Bundeskriminalamt fest, allerdings seien genauere Überprüfungen der Beteiligten nicht mehr möglich gewesen, da dort alle Einreiseunterlagen und Visa plötzlich verschwunden waren.
Nicht jeder Mafioso in Deutschland führt ein so schillerndes Leben. Es gibt auch jede Menge kleine, farblose Existenzen. Etwa jenen ’Ndranghetista, der erst als Stahlarbeiter in Herne arbeitete, dann zum Pizzabäcker wurde, um sich besser um die Geschäfte zu kümmern, und der dann den deutschen Behörden lediglich dadurch auffiel, dass sein Auto nicht versichert war, weshalb gegen ihn ein Strafbefehl wegen Verstoßes gegen das Pflichtversicherungsgesetz erging. Zwanzig Tagessätze à zwanzig Mark.
Wie gut sich die Geschäfte auch aus deutschen Gefängnissen führen lassen, illustriert der Fall eines ’Ndranghetista des Clans Farao, der bereits lange in Stuttgart lebte, als er 1984 wegen Mordes verhaftet wurde und zu lebenslänglich verurteilt wurde. Bis er 1996 nach Italien ausgeliefert wurde, betrieb er die Geschäfte für den Clan aus dem Gefängnis weiter. Aus der Besucherliste ließ sich ablesen, welche Bosse von ihm neue Kommandos erhalten hatten.
Und auf manchen Seiten las sich der BKA-Bericht auch wie die Beschreibung eines Splatter-Films, in denen das Zerstückeln menschlicher Körper die Handlung ersetzt. Giuseppina Cariati wurde von ihrem Schwager und einem Komplizen umgebracht, weil
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