Von Kamen nach Corleone
sie ihren Mann nicht nur betrogen, sondern auch ihren Clan verraten hatte. Ihr Mörderschoss ihr zuerst in den Mund, weil sie zu viel erzählt hatte, dann stieß er ihr mit einem Messer in ihr Geschlechtsteil, weil sie ihren Mann betrogen hatte – und schließlich wurde sie so vergraben, dass noch ein Bein aus der Erde herausragte. Der Mord wurde selbstverständlich in Italien erledigt. In Deutschland hätte er zu viel Aufsehen erregt.
Gedankenversunken steige ich wieder in meinen Alfa. Als ich auf den Sitz gleite, bemerke ich, wie sehr ich mich bereits an das Auto gewöhnt habe. Inzwischen habe ich auch den Knopf entdeckt, mit dem man die Sitzheizung einstellen kann. Schöner geht es nicht. Amarti m’affatica , singt Gianna Nannini. Dich zu lieben verzehrt mich.
Als ich mit meinem Freund zum ersten Mal nach Corleone fuhr, war mein Auto für mich der Inbegriff von Unabhängigkeit. Für den Erhalt dieser Unabhängigkeit ging ich jedes Wochenende kellnern. Auf Goldhochzeiten und Schützenfesten, auf Kaninchenzüchterjubiläen und Karnevalsfeiern. Die Einnahmen reichten nie. Das Auto rostete schneller, als ich kellnern konnte. Aber ich habe es geliebt. Wenn ich einen Bus besteigen musste, weil mein Auto mal wieder in der Werkstatt stand, fühlte ich mich erniedrigt. Denn schon die kurze Fahrt auf dem Stück Autobahn, das zwischen meinem Heimatort Kamen und meinem Studienort Münster lag, verhieß mir endlose Freiheit.
Neben dem Erhalt meines Autos war italienisches Essen der einzige Luxus, den ich mir als Studentin leistete, ein Mal wöchentlich. Meine Lieblingsspeise war eine fleischlose, mit Eiern gefüllte Lasagne. Und wenn mir jemand gesagt hätte, dass auch in Münster Mafiaclans ihre Geschäfte betreiben und ich meine fleischlose, mit Eiern gefüllte Lasagne mit hoher Wahrscheinlichkeit in einem Lokal gegessen habe, das zu einem kalabrischen ’Ndrangheta-Clan gehörte, dann hätte ich vermutlich an eine Verschwörungstheoriegeglaubt. Denn nichts schien mir in Münster so weit weg zu sein wie die Mafia.
Münster ist eine Welt, die im Wesentlichen aus rotem Klinker, imposanten Kastanienbäumen und der Überzeugung besteht, dass hier nichts Schlimmeres passieren kann, als von einem militanten Radfahrer überfahren zu werden, von denen es in Münster allerdings sehr viele gibt.
Die Hochschule der Polizei in Münster-Hiltrup hatte mich zu einer Tagung über Organisierte Kriminalität eingeladen. Am Ende der Tagung schloss ich mich einigen Ermittlern an und ging mit ihnen in das einzige Restaurant, das man von der Hochschule aus zu Fuß erreichen konnte. Wie es das Schicksal wollte, war es ein hübsches, kleines, sizilianisches Lokal, Piccolo Mondo. Winzige eingelegte Sardellen, gebratene Auberginen, Pasta mit grünem Spargel und sizilianischer Weißwein.
Das Piccolo Mondo war an jenem Abend voll mit Männern, die so auffällig ausdruckslos von ihrer Pasta hochblickten, wie es nur Polizisten hinkriegen. Und die alle so taten, als wüssten sie nicht, dass selbst eine beschauliche Universitätsstadt wie Münster für die ’Ndrangheta interessant ist. Hier macht der aus der kalabrischen Provinz Crotone stammende Clan der Grande Aracri seine Geschäfte, die sich den klassischen Betätigungsfeldern wie Rauschgifthandel, Erpressung und Geldwäsche widmen.
Während der Ermittlungen gegen den Clan wurden im Jahr 2005 im Rostocker Hafen 126 Kilo Kokain gefunden, versteckt in drei Seesäcken in unter dem Wasser liegenden Ruderkästen eines venezolanischen Kohlefrachters, sowie 600 Gramm Kokain am Frankfurter Flughafen, eine quantité négligeable , sozusagen. Anders als bei den Ermittlungen in Deutschland, die stets ohne Erfolg abgeschlossen werden mussten, konnten bei dieser internationalen Festnahmeaktionüber hundert Mafiosi festgenommen werden, darunter auch Francesco Aracri – der in Münster Geschäftsführer eines Großhandelsunternehmens war und über beste Verbindungen zum Clan Pelle-Romeo in Erfurt verfügt. Aracri wurde nach Italien ausgeliefert, wo man ihn nur kurzzeitig unter Hausarrest stellte, als handele es sich nicht um einen Mafioso, sondern um ein schlecht erzogenes Kind.
Als der Fahnder Ernst Wirth etwas verspätet das Piccolo Mondo betrat, blickten die Ermittler kurz von ihrer Pasta hoch. Was durchaus als Zeichen der Wertschätzung gewertet werden konnte. Ernst Wirth vom Bayerischen Landeskriminalamt war es, der Giorgio Basile, den in Mülheim aufgewachsenen Mafioso, überzeugte, zum Kronzeugen
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