Von Kamen nach Corleone
dazu, in Zukunft stets die Radmuttern meines Autos zu kontrollieren. Der Alfa Spider hat jedoch diese Zierfelgen, unter denen sich ziemlich wahrscheinlich die Radmuttern verbergen. Aber es gelingt mir einfach nicht, sie zu finden.
Eine Decke aus Regenwolken hängt über der Autobahn, und es beginnt so stark zu regnen, dass sich die Welt um mich herum in Wasserdunst auflöst, die Vierzigtonner, die Geschwindigkeitsbeschränkungen, die kleinen Wäldchen neben der Autobahn. Acht Monate Schnee, zwei Monate Regen, und das nennt die Bande Vaterland – soll Napoleon über Deutschland gesagt haben. Um Napoleon zu widerlegen, geschieht ein Wunder: Die Wolkendecke hat plötzlich ein kleines Loch, aus dem ein Regenbogen schimmernd den Weg weist. Die Sonne bricht wieder durch. Eine Herbstsonne, aber immerhin.
Links und rechts von der Autobahn wächst Wein auf sanft abfallenden Hügeln. Ich beginne den Süden zu ahnen. Die Weinberge mit ihrem roten Laub erinnern mich an die erste Reise meines Lebens, als ich in den Schwarzwald fuhr und fassungslos war angesichts einer Landschaft, die nicht aus Kohlenhalden bestand, sondern aus Hügeln, die mit Rebstöcken und blau schimmernden Tannen bewachsen waren. Wo Schlüsselblumen am Wegesrand wuchsen und die Welt ein geranienumrankter Herrgottswinkel zu sein schien.
In Stuttgart gibt es sogar mitten in der Stadt Weinberge, Weinberge neben stolzen Gründerzeitvillen, bürgerliche Burgen mit korinthischen Kapitellen und Wasserspeiern aus Sandstein. Der Spider fällt überhaupt nicht auf, weil die Straßen voll sind mit Cabriolets, BMW und Mercedes und Porsche, die an den Ampeln miteinander wetteifern, wer zuerst aus den Startlöchern kommt. Bei so viel Wohlstand ist es nicht verwunderlich, dass auch die ’Ndrangheta in Baden-Württemberg heimisch ist, und das seit vierzig Jahren.
Wie unangefochten die Clans im Ländle agieren, bewies zuletzt die Wahlfälschungsaffäre um den italienischen SenatorNicola di Girolamo, der nur durch die Stimmen der ’Ndrangheta in Deutschland 2008 in den italienischen Senat eingezogen war. Und der im Frühjahr 2010 als Protagonist der Fastweb-Affäre festgenommen wurde – eines Geldwäscheskandals, dessen Ausmaße selbst die Italiener überraschte: Gemäß des 1800 Seiten langen Ermittlungsberichts der römischen Staatsanwaltschaft sollen die beiden italienischen Telekommunikationsunternehmen Fastweb und Telecom Italia 2,4 Milliarden Euro für die kalabrische ’Ndrangheta gewaschen und 365 Millionen Steuern hinterzogen haben. Das Geld wurde mittels fingierter Telefondienste, nicht existenter Telefonkarten, ausländischer Briefkastenfirmen und Auslandskonten gewaschen, zwölf der vierzehn von der ’Ndrangheta benutzten Auslandskonten befanden sich in Österreich.
Drahtzieher des gigantischen Stuttgarter Wahlbetruges war laut der Staatsanwaltschaft in Rom der römische Geschäftsmann Gennaro Mokbel – dem nicht nur zehn Morde zur Last gelegt werden, sondern auch beste Beziehungen zu Rechtsterroristen, zur römischen Mafiabande Banda della Magliana und zur ’Ndrangheta. Nicola di Girolamo, Senator der Berlusconi-Partei Volk der Freiheit, stand auf Mokbels Gehaltsliste. Di Girolamo war, so die römische Staatsanwaltschaft, speziell dank der tatkräftigen Vermittlung des Clans Arena gewählt worden, dessen Wahlhelfer die Wahlzettel der Auslandsitaliener fälschten. So gelang es dem bis dahin völlig unbekannten, politisch nie zuvor aktiven römischen Rechtsanwalt Di Girolamo sich als Kandidat für die Stimmen der in Europa lebenden Auslandsitaliener aufstellen zu lassen und in seinem »Wahlkreis Europa« auf Anhieb 25 000 Stimmen zu erlangen – darunter auffallend viele aus Stuttgart und Umgebung.
Seitdem das Wahlrecht für die im Ausland lebenden Italiener eingeführt worden ist, bot sich die Briefwahl für Wahlfälschung an – was man bis dahin nur in Süditalien erwartete, wo die Wählerstimmen das Kapital der Mafia gegenüber der Politik darstellen. Dort kauft die Mafia Wählerstimmen mit einem Päckchen Pasta. Gewählt wird nur, wer den Clans nutzt. Und das sind heute nicht mehr nur Politiker, die mit der Mafia mehr oder weniger offen zusammenarbeiten, Politiker, die sich von der Mafia benutzen lassen, sondern Mafiosi, die in die Politik eingestiegen sind. Der direkte Weg. Offenbar betrachtet die ’Ndrangheta Stuttgart als ihr ureigenstes Terrain, als eine Art ausgelagertes Süditalien, wo gilt: Hier bestimmen wir.
Um als Abgeordneter für die
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