Von Kamen nach Corleone
fällt das schlechte Gewissen umgehend von mir ab.
»Alles Große in der Welt geschieht nur, weil jemand mehr tut, als er muss«, steht auf einem Blatt Papier, das an der Tür zur Abteilung der Stuttgarter Staatsanwaltschaft klebt. Die Tür ist aus Panzerglas. Dahinter finde ich Oberstaatsanwalt Helmut Krombacher, ein melancholischer Mann mit einer erstaunlich optimistisch wirkenden veilchenblauenKrawatte. Ein Mann, der auch am Samstag arbeitet. Sein Büro sieht so aus, wie man es sich aus Tatortfilmen vorstellt. Voller sprödem Siebzigerjahrecharme samt Resopaltischen, Leitzordnern und ein paar Ermittlerdevotionalien: eine Carabiniere-Mütze, die Ehrenmedaille eines italienischen ROS-Generals, eine Silbermedaille von Leoluca Orlando, dem einstigen Bürgermeister von Palermo, der Krombachers Antimafiaengagement würdigt. Auf einem Kühlschrank steht eine Espressomaschine, die unter einem Höllenlärm einen annehmbaren Behördenespresso fabriziert, die Besucherstühle sind hart.
In Stuttgart gebe es verdächtige Italiener, die als Kaufleute in der Gesellschaft sehr hoch angesehen und aufgestiegen seien, sagt Oberstaatsanwalt Krombacher. Als Staatsanwalt müsse er aber Straftaten nachweisen. Wenn bei den Delikten jedoch das Niveau von Erpressung und Brandstiftung überstiegen werde, dann sei es für die Ermittler schwierig: Bei den Verdächtigen, die als italienische Kaufleute daherkommen, verhalte es sich allerdings so, dass diese keineswegs selbst mit Drogen handeln oder die Erpressungen machen. Sie nähmen nicht mal Falschgeld in die Hand.
Die Affäre von den gefälschten italienischen Wahlzetteln ist auch in Stuttgart dank des Rom-Korrespondenten der Stuttgarter Zeitung bekannt geworden. Krombacher stellte fest, die Wahlfälschung italienischer Wahlzettel auf deutschem Boden sei kein deutsches Strafdelikt. Anders wäre das bei der Europawahl.
Krombacher leitet die Abteilung für Organisierte Kriminalität seit 1990. Da war die Mafia in Stuttgart erst kurz zuvor entdeckt worden. Eine Hühnermafia, wie Krombacher sie heute nennt. Man entdeckte sie mehr zufällig. Hier eine Brandstiftung, dort eine Erpressung, bis irgendwanndie Fäden zusammenliefen und jenes Netzwerk enthüllten, das zusammen mit den Gastarbeitern der Autoindustrie nach Stuttgart gekommen war.
Die Opfer waren Italiener und hatten immer geschwiegen. Und die Tatverdächtigen kamen fast immer aus Cirò und Cariati – jenen winzigen kalabrischen Dörfern, aus denen bis heute die Clans stammen. Sie haben Orte wie Stuttgart, Waiblingen, Ludwigsburg, Esslingen und Fellbach zu ihren Hochburgen ausgebaut. Traditionell herrschen in dieser Gegend die kalabrischen Clans Farao und Greco – die aus Dörfern in der Provinz Catanzaro stammen, aus Cirò, Cariati, Mandatoriccio.
Krombacher gehen die Namen seit langem flüssig über die Lippen. Anfang der neunziger Jahre kam es auch noch ab und zu zu einem Verfahren wegen Schutzgelderpressung – aber nur, wenn die Erpressungsopfer mit deutschen, speziell schwäbischen Ehefrauen verheiratet waren, die nicht einsehen wollten, mit ihrem schwer verdienten Geld die Mafia zu bereichern: Mir gebet nix, mir habe so schaffe müsse.
Wenn es zur Verhandlung kam, schwiegen die italienischen Ehemänner. Oder sagten, sie gäben das freiwillig. Die Erpresser sagten, sie hätten nur für krebskranke Kinder gesammelt. Oder für einsitzende Strafgefangene. Und die Richter stellten fest, also dann sei das doch keine Drohung!
Auf einem der harten Besucherstühle wird auch Vincenzo Cavallaro gesessen haben, jener abtrünnige Mafioso, der Mitte der neunziger Jahre mit seinen Aussagen dem Clan Farao einen schweren Schlag versetzte. Nicht zuletzt, in dem er auch Morde gestand, die bis dahin gar nicht entdeckt worden waren. Zu jener Zeit gab es viel Austausch mit italienischen Kollegen. Man lernte voneinander. Auch über die Bedeutung kleiner Gesten. Etwa alsder abtrünnige Vincenzo Cavallaro von einem Staatsanwalt aus Catanzaro verhört werden sollte. Cavallaro wollte dem italienischen Staatsanwalt nur ordentlich gekleidet gegenübersitzen, weshalb ein Stuttgarter Polizist den Auftrag bekam, mit dem Geld des Abtrünnigen einen Anzug zu kaufen. »Und bei mir kam der immer nur im Trainingsanzug zu den Verhören. Da habe ich kapiert, dass ich zu freundlich war«, sagt Krombacher.
Für den Mafioso ist der italienische Staatsanwalt ein Feind, mit dem er auf Augenhöhe kommuniziert – und das auch ohne Worte. Der neue Anzug
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