Von Kamen nach Corleone
dem Teletext des Fernsehers lese, beschließe ich, zu Abend zu essen, Frankfurter Würstchen vielleicht, ich liebe Frankfurter Würstchen.
Das Hotelrestaurant trägt den bizarren Namen Unterschweinstiege. Als ich Platz genommen habe, auf meine Würstchen warte und einen Merlot aus dem Trentino trinke, höre ich den Geschäftsmännern vom Nebentisch zu, die sich Sätze zuwerfen, die nur sie verstehen. Einer bemerkt, dass er challengen wollte, fragt, wie es um die Erwartungshaltungbestellt sei, worauf sein Nachbar nickt und zu bedenken gibt, dass er im Vorfeld etwas hören wolle, was den Dritten dazu beflügelt, festzustellen, dass er von Anfang an eingebunden sein möchte. Sie lächeln sich dabei so verständnisinnig an, dass man meinen könnte, sie seien ineinander verliebt. Gleich werden sie sich vor Begeisterung küssen.
Dann höre ich, wie an dem anderen Tisch neben mir Italienisch gesprochen wird. Es sind zwei italienische Geschäftsmänner, die nicht nach Hause fliegen konnten, weil die Alitalia streikt. Die beiden Italiener bemitleiden sich gegenseitig. » Povera Italia!« , sagen sie. » Ah, come siamo ridotti! Ach, wie sind wir heruntergekommen!«
Die Selbstgeißelung, denke ich, und höre ihnen noch eine Weile dabei zu, wie sie die Korruption im Allgemeinen, die Steuergesetzgebung im Besonderen und den verheerenden Einfluss des Vatikans auf die Politik beklagen. Und nicht müde werden, die Alitalia zu verwünschen. Bis sie schließlich dazu übergehen, die Unverdaulichkeit der deutschen Küche zu beklagen. Ein Schweinebraten würde jeden Italiener umbringen, sagt einer. Dann lachen sie. Und schon bekomme ich Heimweh. Nach Italien.
7
Am nächsten Morgen breche ich schon früh auf. Ich rolle meinen Koffer in die Tiefgarage und bin wieder eins mit dem Spider, der mir sofort so vertraulich zublinkt, als sei er bereit, mich zu beschützen. Was er vielleicht auch fertigbringt, denn seine Türen sind so schwer, dass man meint, sie seien gepanzert. Wenn ich mich beim Aussteigen nicht mit aller Kraft dagegenstemme, wirft mich die Tür wieder zurück auf den Sitz.
»Pass bloß auf dich auf.« Das war der Ratschlag, den ich am meisten hörte. Meine deutschen Freundinnen riefen mich an und hinterließen mir so oft ein »Pass bloß auf dich auf« auf dem Anrufbeantworter, dass ich mich irgendwann fragte, ob ich bekannt dafür sei, mich aus fahrenden Zügen zu stürzen.
Vor vielen Jahren hat mir eine Freundin zum Geburtstag ein Buch mit leeren Seiten geschenkt. Den Buchumschlag hatte sie von einem Graphiker gestalten lassen, mit einem Foto von mir und meinem Namen als Autorin über dem Buchtitel Die Patin . Auf die Rückseite des Buches hatte sie Zitate aus imaginären Kritiken drucken lassen: »Reski zeigt ein Land, in dem eine Autobombe leichter zu backen ist als das traditionelle Marzipangebäck.« Oder: »Ein furioser Roman, eine fulminante Geschichte, eine ferlässliche Freundin.« Es wurde sehr gelacht. Besonders über den Stabreim.
Bis gestern war meine Beschäftigung mit der Mafia für sie meine persönliche Extravaganz gewesen. Unverständlich, aber im Grunde harmlos. Ich sprach selten darüber. Denn wenn ich in Deutschland von der Mafia und ihrer Bedrohung sprach, war es so, als würde ich von einer eingebildeten Krankheit sprechen. Man zeigte höfliches Interesse – und dachte: eine fixe Idee. Ich konnte es niemandem verübeln. Die Mafia schien in Deutschland weit weg. Selbst für Journalisten.
Es gab in Deutschland auch Freunde, die offenbar davon ausgingen, dass ich selbst nicht alle Möglichkeiten der Einschüchterung durchdacht hatte. Sie machten mich darauf aufmerksam, dass die Mafiosi vermutlich nicht nur mich bedrohen würden, sondern auch meine ganze Familie. Meine Mutter in Deutschland, meine Familie in Italien. Meinen Mann. Die Kinder. Ich könnte einen Unfall haben. Man könnte in unsere Wohnung einbrechen, auf der Suche nach Informationen. Es könnte auch zu einem Brand kommen.
Und dann gaben sie mir den Rat, endlich damit aufzuhören: Du hast ein tolles Buch geschrieben. Wunderbar. Aber jetzt solltest du leiser treten. Meide die Öffentlichkeit, sag Lesungen ab, steck deine Nase nicht in Angelegenheiten, die dich nichts angehen. Schreib doch mal zur Abwechslung über die venezianische Küche. Du kannst die Welt nicht verändern.
»Pass bloß auf dich auf.« Bevor ich in den Spider steige, fällt mein Blick auf die Zierfelgen. Ein deutscher Freund riet mir nach den Drohungen in Erfurt
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