Von Kamen nach Corleone
und den Engländern.
Vor mir fährt schon wieder ein Laster mit Deutschlandfahne. Von wegen Selbstgeißelung. Die Neigung dazu scheint seit den Fußballweltmeisterschaften in Deutschland vergangen zu sein. Da hatte sogar Günther Grass den fahnenschwingenden Deutschen die Absolution erteilt.
Als ich das letzte Mal in Köln war, verfolgte ich eine Verhandlung gegen die sizilianische Baumafia im Landgericht Köln. Und stellte beim Betreten des Landgerichts fest, dass es sich in einer jener klassischen Waschbetonfestungen aus den siebziger Jahren befindet wie so viele öffentlichenGebäude in Deutschland. Wobei bei dem Kölner Landgericht der Eindruck der Bastion durchaus erwünscht ist. Ein Staatsanwalt beschrieb nicht ohne Stolz, wie anlässlich einer Verhandlung der Russenmafia sämtliche umliegenden Straßen abgeriegelt und die Russen per Hubschrauber zu der Verhandlung geflogen worden waren.
Dagegen nahmen sich die sizilianischen Mafiosi, über die an jenem Tag gerichtet wurde, vergleichsweise harmlos aus. Und was heißt hier überhaupt Mafiosi – während der Verhandlung gegen die sizilianische Baumafia fiel das Wort Mafia kein einziges Mal. So wie man in Amerika nicht von dicken Amerikanern spricht, sondern von »andersgewichtigen Menschen«, sprach man im Kölner Landgericht auch nicht von Mafia, sondern von einer »bandenmäßig organisierten Struktur, die in gewerbsmäßiger Art und Weise in großem Umfang Steuern hinterzogen und den Sozialversicherungsträgern hohen Schaden zugefügt hatte«. Genau 1,8 Millionen Euro. So viel hatten die fünf Sizilianer, die auf der Anklagebank saßen, an Lohnsteuern und Sozialversicherung hinterzogen.
Die fünf Angeklagten wurden von elf Rechtsanwälten verteidigt. Von Staranwälten, die pro Verhandlungstag Tausende Euro kosten. Manchmal erkennt ein Staatsanwalt schon am Anwaltstarif, dass er es mit der Mafia zu tun hat. Wobei er das allerdings nicht laut sagen würde.
Den elf Staranwälten saß ein schmächtiger Staatsanwalt gegenüber. Und obwohl seine schwarze Robe eine gewisse Aura von Bedeutsamkeit verströmte und seine weiße Krawatte feierlich aus dem Ausschnitt der Robe leuchtete, schien mir eine fußballmannschaftsstarke Verteidigung gegenüber einem einzigen Ankläger doch ein gewisses Missverhältnis auszudrücken. Zumal neben einigen Angeklagten auch noch Übersetzer saßen. Offenbar lässt sich eineSteuerhinterziehung von 1,8 Millionen Euro auch ohne deutsche Sprachkenntnisse bewältigen.
Der Zuschauerraum war durch Panzerglas vom holzvertäfelten Verhandlungsraum des Schwurgerichts abgetrennt. Neben mir saßen die Familienangehörigen der fünf Sizilianer, alle waren vollzählig zur Verhandlung angetreten, ganz so, wie ich es aus den Mafiaprozessen in Sizilien kenne. Nicht nur die Ehefrauen waren da, wohlbeleibte falsche Blondinen, die ihren Männern sehnsüchtig Kusshände zuwarfen, sondern auch ihre Brüder, Väter, Schwager und Cousins. Wer von den Männern noch Haare besaß, trug sie mit viel Gel zurückgekämmt, wem die Haare bereits ausgingen, trug den Schädel mönchisch kahl rasiert. Die Söhne fehlten auch nicht, kleine Jungen, in deren Ohrläppchen winzige Brillanten funkelten, kleine Jungen, die mit ihren Schwestern darum wetteiferten, »Papa, Papa« zu rufen und ihren hinter dem Panzerglas auf der Anklagebank sitzenden Vätern zuzuwinken. Alle sprachen Sizilianisch. Einige der Kinder waren so klein, dass sie noch im Kinderwagen saßen. Ich fragte mich, ob sie schon gelernt hatten, die Welt in »sie und wir« einzuteilen.
Die Angeklagten stammten fast alle aus Licata, einer Stadt im Südosten von Sizilien, in der Provinz Agrigent. In der Antimafiastaatsanwaltschaft von Palermo widmet sich eine ganze Abteilung ausschließlich der Mafia von Agrigent und den benachbarten Hochburgen Licata, Palma di Montechiaro und Gela. Die Heimat jener Clans, die traditionell die engsten Verbindungen nach Deutschland haben. Speziell nach Köln. Und die traditionell beste Beziehungen zur Bauwirtschaft haben. Als der Boss Giuseppe Stracuzzi aus Licata im Jahr 2009 zusammen mit seinem Sohn festgenommen wurde, beschlagnahmten die Ermittler in Sizilien Güter im Wert von dreißig Millionen Euro, darunter147 Wohnungen, drei Baufirmen, 57 Autos, eine Betonherstellung, eine Sandgrube und einen Steinbruch.
Die Verhandlung in Köln dauerte nicht lange, dann wurde das Urteil verkündet. Der Richter monierte den Niedergang einer seriösen Bauwirtschaft, betonte die
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