Von Kamen nach Corleone
Zusammenlebens mit seinem Vater zu erinnern. Einen Moment, der ihm ermöglicht hätte zu sagen: Er fehlt mir.
»Es ist mir nicht gelungen«, sagt er.
Diese kleinen Bemerkungen, die Ciancimino macht, lassen ahnen, dass sich hinter seinen Aussagen vor Gericht mehr verbirgt als der kalkulierte Schachzug, der ihm von seinen Gegnern unterstellt wird. Wenn Massimo Ciancimino jetzt nach Palermo kommt, um seine Aussagen zu machen, drängen sich keine Forza-Italia-Abgeordneten mehr um ihn, keine sizilianischen Madonnen, keine jungen, aufstrebenden Vermögensberater, sondern seine Leibwächter. Seitdem die Mafia ihn geächtet hat, wurde unter seiner Wohnung in Palermo eine Bombe gefunden, verfolgte ihn ein Motorradfahrer auf einem gestohlenen Motor rad, wie es für Killer üblich ist, vom Flughafen bis nach Hause, schickte man ihm anonyme Drohungen – bis ihm eine Leibwache gestellt wurde. Und man ihm zu verstehen gab, dass es für seine Sicherheit besser sei, Palermo zu verlassen. An seinem letzten Geburtstag erhielt er einen Anruf: Du bist ein Toter, der spricht.
Massimo Ciancimino macht dennoch weiter seine Aussagen. Trägt Kartons mit Notizen seines Vaters und mit von Bossen handgeschriebenen Zetteln in die Staatsanwaltschaft von Palermo. Wird verhört – und von Berlusconis journalistischen Hofhunden verhöhnt, diskreditiert, verleumdet. Es sei ihm nur darum gegangen, seine Gefängnisstrafe wegen Geldwäsche zu tilgen, heißt es. Oder: Seine einzige Absicht sei gewesen, den von seinem Vater angehäuften Schatz in Sicherheit zu bringen.
Tatsächlich ist Massimo Ciancimino wegen Geldwäsche verurteilt worden, als Einziger von den fünf Ciancimino-Kindern. Die Strafe belief sich auf drei Jahre und sechs Monate. Bei guter Führung hätte er das Gefängnis nach zwei Jahren verlassen können. Niemand hätte ihn dann daran hindern können, danach auf die Bahamas zu gehen und dort den vermeintlichen Schatz seines Vaters zu genießen.Denn selbst nach dem Tod seines Vaters hielt ein Agent des Geheimdienstes mit dem Decknamen »Signor Franco« noch die Hand über Massimo Ciancimino. Signor Franco war bei seinem Vater ein und aus gegangen. Als Don Vito starb, überreichte Signor Franco bei der Beerdigung einen Kondolenzbrief des damals noch untergetauchten Bosses Bernardo Provenzano. Und zehn Tage vor der Verhaftung von Bernardo Provenzano im Jahr 2006 rief Signor Franco Massimo Ciancimino an und empfahl ihm, vorübergehend ins Ausland zu fahren, weil gewisse Dinge passieren würden.
Signor Franco war sicher auch nicht entgangen, dass Massimo Ciancimino seinen Vater schon zu Lebzeiten dazu gedrängt hat, mit der Staatsanwaltschaft zusammenzuarbeiten. Bei einem Verhör im Jahr 1993 hatte Don Vito dem damaligen Staatsanwalt von Palermo gesagt: »Wenn es Ihnen gelingt, einen wichtigen Politiker außer mir auch nur für einen Tag wegen seiner Verbindungen zur Mafia ins Gefängnis zu bringen, erzähle ich Ihnen, wie das System funktioniert.«
Als Giulio Andreotti im Jahr 2002 in erster Instanz als Auftraggeber des Mordes an dem Journalisten Mino Pecorelli verurteilt wurde, rief Massimo seinen Vater an, der damals in Rom unter Hausarrest lebte. Er sagte ihm: »Erinnere dich an das, was du versprochen hast. Du musst Dein Versprechen halten.«
Vier Stunden später starb Don Vito an inneren Blutungen. Als sein Sohn den toten Vater sah, war die Autopsie bereits erfolgt. Und das Zimmer, in dem sein Vater starb, von der Polizei versiegelt.
Am Nebentisch wird die Laureatin immer noch gefeiert. Mit noch mehr Fruchtsaft. Was der Stimmung offenbar bestens bekommt. Die Frauen kichern, als seien sie beschwipst.Massimo Ciancimino erzählt, wie es war, als man ihm eine Leibwache gab. Der Staatsanwalt, der wegen der Drohungen gegen ihn ermittelte, erinnerte Ciancimino daran, dass sein Umzug nach Bologna nur eine trügerische Sicherheit verheiße – schließlich sei Bologna die Stadt, in der die Roten Brigaden den Regierungsberater Marco Biagi ermordet hatten – dem wenige Monate zuvor die Leibwächter entzogen worden waren. Und nebenher gab der Staatsanwalt noch zu bedenken, dass bei einem Attentat auf ihn es auch andere unschuldige Bologneser treffen könnte – als Kollateralschaden sozusagen.
Während er spricht, spielt Ciancimino mit den Perlen seiner Hippiearmbänder, er kontrolliert nebenbei Mails, drückt eintreffende Anrufe weg und sagt dann: »Sollen wir gehen?« Er wirkt wie ein hyperaktives Kind, das zappelt, mit dem Knie wippt,
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