Von Kamen nach Corleone
Berlusconis rechter Hand.
Erst lancierte Grillo von seinem Weblog die Idee der »Meet-Ups«, kleine, renitente Zellen, Hilfe zur Selbsthilfe. In Turin kam es zum ersten nationalen Teffen, »Demokratie von unten«. Grillo bedeutet auf Italienisch Grille – bis heute wird seine Bewegung so genannt: i grillini , die Grillen. Man hört sie förmlich zirpen. Meet-ups aus ganz Italien hatten sich in diesem Theater versammelt, und Grillo rief: »Sie können nicht länger so tun, als seien wir unsichtbar!« »Sie« – das ist Italiens herrschende Klasse, die das Land wie eine Privatschatulle betrachtet. Und sich mit der Mafia arrangiert.
»Die Bedingung ist die«, sagte Grillo: »Du musst erpressbar sein.«
Das gelte in Italien nicht nur für die Politik, sondern für den gesamten Alltag. Wer nicht erpressbar sei, finde nirgendwo einen Platz. Man müsse ein Vergehen begangen haben, ein Experte des Betrugs sein, sonst könne man in Italien keinen Weg machen. Und das gelte inzwischen auch für die anständigen Leute. Denn wie könne eine wirtschaftliche Konkurrenz aussehen zwischen einem anständigen Unternehmer, der sechzig Prozent Steuern bezahle, und seinem Konkurrenten, der nur fünf Prozent bezahle, weil er sein Schwarzgeld im Ausland geparkt habe und jetzt wieder einführen kann, straffrei? Also bezahle der, der in diesem Jahr sechzig Prozent bezahlt habe, im nächsten Jahr nur zehn Prozent. Die verbrecherische Kaste der korrupten Politiker zwinge das Land, so zu werden wie sie. Es sei sehr leicht, in diese Falle zu tappen. Nicht nur für Italiener, auch für Deutsche! Denn es sei ein schönes Gefühl, immer straffrei auszugehen. Es sei schön, die Steuer über das Ohr zu hauen. Man begehe ein Vergehen, werde entdeckt, profitiere aber von der jüngsten Prozessreformund von der letzten Amnestie – und gehe straffrei aus. Es sei anstrengend, ehrlich zu sein.
»Die Mafia durchdringt das soziale Gewebe eines jeden Landes!«, rief Grillo, »und ihr Deutschen habt gegen sie noch keine Immunabwehrkörper entwickelt! Ihr glaubt immer noch, dass die Mafia mit der abgesägten Schrotflinte daherkommt! Wir Italiener sind bereits verloren, aber ihr habt noch eine Chance. Ihr seid so präzise, einen Deutschen kann man daran erkennen, dass er immer einen Stadtplan oder eine Landkarte in der Hand hält. Die er nachprüft. Er sucht nämlich nicht nach einem Weg, er prüft nur nach, ob die Karte richtig ist.«
Und dann hörte ich ihn kichern.
10
Neben mir fährt einer der vielen Vierzigtonner und das keineswegs bei Tempo neunzig, sondern mindestens hundertzwanzig. Ich schiebe mich vorbei und schon befiehlt mir die Stimme, jetzt rechts nach Bologna abzubiegen. In Zeiten von Google Earth und in Zeiten von Handarbeitslehrerinnen, die in Navigationssystemen sitzen und darauf lauern, mich zu ermahnen, kann Beppe Grillo den Witz mit dem auf die Landkarte starrenden Deutschen nicht mehr lange machen.
In Bologna bin ich mit Massimo Ciancimino verabredet. Einem Toten, der spricht, un morto che parla , so nennt es die Mafia, wenn sie jemanden geächtet hat, weil er ihre Geheimnisse verrät. Massimo Ciancimino ist der jüngste Sohn des ehemaligen Bürgermeisters von Palermo, Vito Ciancimino. Der als Gehilfe der Mafia verurteilt wurde. Und heute ist Massimo Ciancimino der einzige der fünf Kinder von Don Vito Ciancimino, der mit der Justiz zusammenarbeitet. Der den Staatsanwälten erzählt, was sein Vater bei den Treffen mit dem Boss Bernardo Provenzano besprach, und welche Richter, Politiker, Mafiosi, Polizisten und Geheimagenten im Salon von Don Vito ein- und ausgingen. Und der seitdem verhöhnt, verfolgt und bedroht wird.
Wir treffen uns in einem Café in der Innenstadt, unweit der Arkaden und der Backsteinfestungen der Piazza Maggiore.Ich bin etwas zu früh da und beobachte, wie eine Studentin am Nebentisch ihr soeben bestandenes Examen f eiert; sie ist mit einem Lorbeerkranz und einer Siegerschärpe geschmückt und stößt mit ihrer Mutter, den mit ihr angereisten Tanten und den Kommilitoninnen mit Fruchtsaft an. Die Mutter und die Tanten streichen hin und wieder behutsam über die frisch eingelegten Locken und sitzen etwas steif auf den kleinen Cocktailhockern, als säßen sie auf Thronsesseln, die ihnen nicht zustehen.
Und dann geht die Tür auf, und Massimo Ciancimino betritt das Lokal. Er wird von zwei Männern begleitet, die an einem Tisch hinter uns Platz nehmen. Mir fallen seine Hippiearmbänder am Handgelenk auf. Und seine
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