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Von Kamen nach Corleone

Von Kamen nach Corleone

Titel: Von Kamen nach Corleone Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Reski Petra
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beim Verfassen nie veröffentlichter Memoiren und wuchs damit auf, dass im Salon seines Vaters nicht nur Mafiabosse verkehrten, sondern auch Verteidigungsminister, Staatsanwälte, Polizisten, Richter.
    Massimo Ciancimino sitzt auf einem Sofa und rutscht immer tiefer, bis er fast im Liegen erzählt, in jener schlechten Haltung, die pubertierenden Jungen eigen ist. Und ich frage ihn, warum er nicht schon damals rebelliert hat, warum er nicht einfach geflüchtet ist aus dieser Welt, verschwunden nach Indien, wo er bereits einmal drei Monate verbracht hatte. Ausgebrochen aus seinem Leben als Leibeigener.
    »Aber er hätte mich doch überall auf der Welt gefunden«, sagt Massimo Ciancimino. »Er hätte seine Leute losgeschickt, und sie hätten mich wieder zurückgebracht.«
    »Und wenn Sie damals schon, noch zu Lebzeiten von Don Vito, auf die andere Seite übergewechselt wären?«
    Massimo Ciancimino lächelt mild.
    »Angenommen, ich hätte mich damals schon entschieden, alles anzuzeigen, dann sage mir aber bitte mal: An wen hätte ich mich wenden sollen? An die Carabinieri, die bei meinem Vater ein und aus gingen? Oder sollte ich die Polizei anrufen oder vielleicht die Staatsanwaltschaft, von denen einige auch bei meinem Vater verkehrten? Ich bin nie ein Held gewesen, ich bin ein Mensch wie jeder andere, mit seinen Ängsten. Und bis heute ist das so. Es gibt keinen Tag, an dem ich mich nicht frage: Lohnt sich das? Wofür machst du das eigentlich alles?«
    Und dann rutscht er noch tiefer in die Polster und erzählt von jener Zeit der Attentate 1992 und 1993, Höhepunkten eines blutigen Bürgerkriegs der Mafia gegen den italienischen Staat und seine Protagonisten, gegen Staatsanwälte, Politiker, Polizisten. Und gegen Journalisten. Damals nach der Ermordung von Giovanni Falcone hatte Don Vito Ciancimino sich als Vermittler angeboten – zwischen der Mafia, die ein Ende der Strafverfolgung forderte, und den Vertretern des italienischen Staates, die ein Ende der mafiösen Terroraktionen erhofften.
    Don Vito hatte sich nicht ganz uneigennützig als Unterhändler offeriert. Er hoffte, dass sich sein Einsatz günstig auf seine drohende Gefängnisstrafe auswirken würde. Ihm war klar, dass die Zeit drängte. In Mailand liefen die Schmiergeldermittlungen, die nicht nur Sozialisten und Christdemokraten, sondern das gesamte italienische Parteiensystem in den Abgrund gerissen hatten. Für jeden öffentlichen Auftrag war Geld geflossen. Tausende Politiker und Industrielle waren verhaftet worden. Don Vito wusste längst, dass die Cosa Nostra hektisch auf der Suche war nach einem neuen politischen Bündnispartner – dem sie das Ende der Terrorakte und Wählerstimmen anbietenkönnte. Und dafür mit einer präzisen Forderungsliste das Ende der Strafverfolgung verlangte.
     
    1. Revision der Urteile des Maxiprozesses.
    2. Abschaffung der Hochsicherheitshaft für Mafiosi.
    3. Ende der Beschlagnahmung von Mafiagütern.
    4. Abschaffung der Kronzeugenregelung.
    5. Einführung eines Gesetzes, das den Mafiosi Straffreiheit garantiert, wenn sie sich von der Mafia lossagen – ohne jedoch über ihre Taten aussagen zu müssen.
    6. Keine Haft für über siebzigjährige Mafiosi.
    7. Schließung der Hochsicherheitsgefängnisse.
    8. Verlegung der Mafiabosse in Gefängnisse in Heimatnähe.
    9. Schluss mit der Zensur der Post von Mafiabossen.
    10. Vorbeugende Maßnahmen gegen die Beschlagnahmung von Gütern, die Familienangehörigen gehören.
    11. Verhaftungen sollen nur dann möglich sein, wenn der Täter auf frischer Tat ertappt wird.
    12. Abschaffung der Benzinsteuer nach dem Vorbild der Region Aosta.
     
    Der letzte Punkt, die Abschaffung der Benzinsteuer, war Totò Riinas persönlicher Wunsch.
     
    Die papello genannte Forderungsliste war in Druckbuchstaben geschrieben, mit leichten Orthographiefehlern, und es war Don Vitos Sohn Massimo, der sie von einem Mittelsmann im Café Caflish in Palermos Strandbad Mondello abgeholt und zu seinem Vater gebracht hatte. Heute liegt diese Forderungsliste in der Staatsanwaltschaftvon Palermo. Ciancimino vermutet, dass es die Handschrift des Bosses Totò Riina ist, der ungelenk und in großen Druckbuchstaben die Forderungen der Mafia aufschrieb.
    Bald darauf sollte Totò Riina selbst das erste Bauernopfer dieser Verhandlungen werden. Er wurde auf dem Höhepunkt der Terrorjahre verhaftet, im Januar 1993. Es war eine Verhaftung wie aus dem Bilderbuch. Riinas Fahrer habe ihn verraten, hieß es. Bilderbuchreif war

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