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Von Kamen nach Corleone

Von Kamen nach Corleone

Titel: Von Kamen nach Corleone Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Reski Petra
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dann wirkt er wieder gefasst, wie es einem Mann von siebenundvierzig Jahren zu Gesicht steht. Als wir bereits auf der Straße stehen, sieht er sich nach den Leibwächtern um, die erst jetzt mitbekommen, dass wir das Lokal verlassen haben. Nicht sehr beruhigend. Das mit den Leibwächtern sei so eine Sache, sagt Ciancimino. Er grinst. Oft habe er sich gefragt, ob es Zufall sei, dass die Autos, die man ihm zur Verfügung stellte oder auch dem Staatsanwalt Ingroia, jenem Staatsanwalt, der in Palermo die Ermittlungen führt, so klapprig seien, dass sie oft mitten auf der Strecke zusammenbrächen. Und von ihnen angeschoben werden müssten.
    Draußen riecht es nach nassem Backstein, in dem das Mittelalter steckt. Wir wollen unser Gespräch bei ihm zu Hause fortsetzen und laufen unter Bolognas Arkaden weiter, die Leibwächter folgen uns mit etwas Abstand. Manche Passanten blicken auf Massimo Ciancimino, als sei ihnen sein Gesicht bekannt, nur wissen sie nicht, woher. Manhat ihn in vielen Zeitungen gesehen, manchmal auch im Fernsehen – immer wenn es in Artikeln oder Talkshows um jene Prozesse in Palermo ging, die Licht in das Dunkel der vergangenen zwanzig Jahre bringen sollten, wurde Massimo Cianciminos Foto gezeigt.
    Es sind Prozesse, die nicht nur für Palermo wichtig sind, sondern für ganz Italien. Es sind historische Prozesse, die erklären sollen, was hinter dem plötzlichen Einstieg Berlusconis in die Politik steckte, hinter der plötzlichen Gefangennahme des Bosses Totò Riina, während der Boss Bernardo Provenzano jahrzehntelang weiter unbelligt in Sizilien leben konnte, wer sich hinter dem Attentat auf Paolo Borsellino verbarg. »Nur wer die Vergangenheit versteht, kann auch die Gegenwart interpretieren«, sagte der Palermitanische Staatsanwalt Antonino di Matteo.
    Zu den historischen Prozessen zählt derjenige, in dem Marcello Dell’Utri verurteilt wurde. Auch die Wiederaufnahme des Prozesses gegen die Attentäter des Staatsanwalts Paolo Borsellino zählt dazu. Bis heute besteht der Verdacht, dass die Mafiosi das Attentat auf Geheiß »fehlgeleiteter« Geheimdienste ausgeführt haben. Der Prozess gegen den ehemaligen Carabiniere-General Mori, der beschuldigt wird, nach der Verhaftung des Bosses Totò Riina dessen Wohnung absichtlich nicht durchsucht zu haben, gehört dazu, und nicht zuletzt auch die Ermittlungen wegen der sogenannten trattativa , der Verhandlungen zwischen dem italienischen Staat und der Mafia Anfang der neunziger Jahre. In all diesen Prozessen sagt Massimo Ciancimino über das aus, was er in den Jahren erlebt hat, die er an der Seite seines Vaters verbracht hat.
    All diese unbeantworteten Fragen in Italien betreffen jene Jahre, die heute die »Jahre der Blutbäder« genannt werden, Anfang der frühen neunziger Jahre. Was wusstendie italienischen Politiker von den Attentaten auf die Staatsanwälte Falcone und Borsellino? Wie sah die Rolle der italienischen Geheimdienste aus? Wer waren die wirklichen Auftraggeber der Attentate? Waren die Mafiosi nur willige Handlanger? Wer hat mit den Mafiosi verhandelt? Mit welchem Ergebnis?
    Ich laufe neben Ciancimino her und beobachte einen Radfahrer, der ihm zuwinkt und ruft: »Weiter so! « Ciancimino lächelt etwas gequält.
    Er ist nicht der einzige Zeuge, der die Verhandlungen zwischen der Cosa Nostra und dem italienischen Staat enthüllt hat, Verhandlungen, die das Schicksal Italiens bis in die Gegenwart bestimmen. Und in deren Folge Silvio Berlusconi an die Macht kam. So rekonstruierte es die Staatsanwaltschaft von Palermo in ihrer Anklageschrift im Prozess gegen Marcello Dell’Utri, an dessen Ende der Forza-Italia-Gründer, Senator, Europaparlamentarier und wichtigste Freund und Mitarbeiter von Silvio Berlusconi als Gehilfe der Mafia in erster Instanz zu neun Jahren Haft verurteilt wurde. Und der im Frühsommer 2010 in der zweiten Instanz keineswegs, wie von tout Palerme erwartet, freigesprochen wurde, sondern zu sieben Jahren Haft verurteilt wurde.
    Es gibt etliche Mafiaabtrünnige, die bereits vor vielen Jahren darüber berichtet hatten, wie sich die Dinge in Palermo und in ganz Italien dank der Verhandlungen wieder aufs Schönste ins Lot gefügt haben. Die Kronzeugen Antonino Giuffrè und Giovanni Brusca sind nur einige von ihnen. Zuletzt hat der Abtrünnige Gasparre Spatuzza im Prozess gegen Marcello Dell’Utri beschrieben, wie euphorisch die Bosse Filippo und Giuseppe Graviano gewesen seien, nachdem sie über Dell’Utri die Verbindung zu

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