Von Kamen nach Corleone
Silvio Berlusconi geknüpft hätten. Bei einer Vernehmung imHochsicherheitsgerichtssaal von Turin schilderte Spatuzza, wie beglückt Giuseppe Graviano ihm in Rom in der Bar Doney in der via Veneto erzählt habe, dass die Verhandlungen nun endlich zu einem erfolgreichen Abschluss gekommen seien, man habe das Land in der Hand, dank eines sizilianischen Landsmannes und »dem von Canale 5«, eben Berlusconi.
Aber erst seitdem der Sohn von Don Vito vor Gericht aussagt, hat die These von den Verhandlungen zwischen Mafia und Politik ein Gesicht bekommen, das Gesicht von Massimo Ciancimino. Der erste Prozess gegen Marcello Dell’Utri war noch weitgehend unter Ausschluss der Öffentlichkeit geführt worden; jede Affäre einer Fernsehansagerin lockte mehr Journalisten als dieser Prozess, in dessen Mittelpunkt die Verhandlungen zwischen Berlusconis rechter Hand und der Mafia standen. Nun aber konzentriert sich die gesamte italienische Presse auf Ciancimino. Ganz so, als hätte man dank seiner zum ersten Mal von den Verflechtungen von Mafia und Politik erfahren.
Ciancimino wohnt in einem mittelalterlichen Palazzo, einer jener Backsteinfestungen, die Bolognas Gesicht prägen. Hier lebt er mit seiner Frau Carlotta und seinem kleinen Sohn, der zur Welt kam, als Cianciminos Vater bereits tot war. Ciancimino hat auch erst nach dem Tod seines Vaters geheiratet. Als hätte er erst angefangen zu existieren, als sein Vater tot war. Und gleichzeitig schwebt Don Vito über ihm wie ein Gespenst, das ihn nicht zur Ruhe kommen lässt.
Zwischen Wohnzimmer und Eingangsflur hängt ein Bild von Marlon Brando, ein Schwarzweißbild, das aussieht wie ein Standbild aus dem Paten . Don Vito Corleone blickt leidend in die Ferne, wie ein Mann, der soeben erfahren hat, dass er von seinem besten Freund verraten wurde.Rechts über dem Kopf des Paten ist der Schriftzug von Chicco zu lesen, dem italienischen Kinderwagenhersteller. Moderne Kunst. Massimo Ciancimino liebt solche Entweihungen. Vielleicht ist das seine Art, mit dem Geist seines Vaters klarzukommen. Mit dem Vater, der seine Kinder per Klingelzeichen zu sich rief: Ein Mal klingeln für den Erstgeborenen, viermal für Massimo, den Letztgeborenen. Die einzige Tochter zählte nicht, jedenfalls gab es kein Klingelzeichen für sie.
Als Massimo Ciancimino in der Schule sitzenblieb, fesselte ihn Don Vito mit Ketten an das Bett, drei Monate lang. Und die Ketten wurden auch nicht gelöst, wenn ihn seine Freunde besuchten. Weil Massimo das einzige der Kinder war, das nicht studierte, er wollte Fotograf werden, behandelte ihn sein Vater wie einen persönlichen Besitz. Er benutzte ihn als Sekretär, Fahrer und Gesellschafter.
Als Don Vito wegen der Zusammenarbeit mit der Mafia von Palermo in die Verbannung nach Rotello geschickt wurde, in ein Tausendseelendorf der Region Molise, ein Dorf, in dem die Zeitungen erst am nächsten Tag ankamen, war es Massimo, der ihm dort Gesellschaft leisten musste. Als Don Vito im römischen Gefängnis Rebibbia seine Strafe absaß, war es Massimo, der keine der wöchentlichen Besuchszeiten versäumte. Und wenn sich sein Vater mit Bernardo Provenzano traf, jenem legendären flüchtigen Gottvater der Cosa Nostra, der vierzig Jahre lang unentdeckt in Sizilien lebte, war es Massimo, der seinen Vater zu den Treffen fuhr. Massimo kannte Bernardo Provenzano nur als Signor Lo Verde – bis er eines Tages beim Friseur in der Zeitschrift Epoca das Phantombild von Provenzano sah. Und begriff, dass der freundliche Herr, der oft bei seinem Vater zu Besuch war, der mit ihnen Pizza aß, der ihm in die Wange kniff und der Frieden zu stiften versuchte,wenn sich Vater und Sohn mal wieder gestritten hatten, die Nummer eins von der Cosa Nostra war.
»Sei vorsichtig: Es gibt Dinge, vor denen selbst ich dich nicht schützen kann«, sagte Don Vito damals zu seinem Sohn Massimo, nachdem er bemerkt hatte, dass Massimo den Signor Lo Verde auf dem Fahndungsfoto erkannt hatte.
Von dem Moment an, in dem der Vater zum ersten Mal verhaftet wurde, bis zu seinem Tod wich ihm Massimo nicht von der Seite, achtzehn Jahre lang. Massimo wählte für seinen Vater das richtige Jackett aus, er stellte für die Gäste eisgekühltes Wasser bereit, holte aus dem Salon den Band der Enzyklopädie, zwischen dessen Seiten wichtige Dokumente versteckt wurden, und stellte die Klimaanlage an oder aus. Er machte den Wagen bereit, wenn sein Vater es wünschte, er buchte Flüge, überbrachte Botschaften, half seinem Vater
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