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Von Kamen nach Corleone

Von Kamen nach Corleone

Titel: Von Kamen nach Corleone Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Reski Petra
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bestätigten es auch zahlreiche andere abtrünnige Mafiosi.
    Drei Monate später gewann 1994 Silvio Berlusconi seine ersten Wahlen. Und die Mafia begann wieder unsichtbar zu werden. Dank des Bosses Bernardo Provenzano, der wusste, dass die Cosa Nostra nur dann überleben würde, wenn sie sich nicht gegen den Staat stellte. Sondern wieder in ihn kriecht.
    Provenzanos Strategie war erfolgreich. Und selbst wenn man alle Rekonstruktionen der Staatsanwaltschaften, die Aussagen der abtrünnigen Mafiosi und die von Massimo Ciancimino für eine gigantische Verschwörungstheorie hält, so konnte doch jeder aufmerksame Zeitungsleser in Italien verfolgen, dass die Forderungen der Mafia in den folgenden Jahren Punkt für Punkt umgesetzt wurden: Die Kronzeugenregelung wurde geschwächt – ein Mafioso muss alles, was er weiß, in 1 80 Tagen gestehen, danach gemachte Aussagen sind nicht mehr verwendbar. Die Hochsicherheitshaft für Mafiabosse wird in der Praxis nicht mehr angewendet, die Hochsicherheitsgefängnisse sind geschlossen, ranghohe Mafiabosse kommunizieren aufs Schönste miteinander beim Freigang und mit der Außenwelt, sie schreiben offene Briefe an Tageszeitungen und versichern ihre Unschuld in italienischen Klatschblättern. Familienmitglieder schmuggeln Kassiber in Wäschepaketen aus dem Gefängnis – wie eh und je. Dreizehn Bosse der Terrorjahre wurden aus »Altersgründen« vorzeitig auf freien Fuß gesetzt, ein Gebot der Menschlichkeit, so hieß es. Nach dem Willen der Berlusconi-Regierung sollen beschlagnahmte Mafiagüter bald wieder zum Verkauf stehen – wodurch sie über Strohmänner wieder von der Mafia aufgekauft werden könnten. Und was die Verlegung der inhaftierten Bosse in Gefängnisse in Heimatnähe betrifft, so wurde dieser Forderung immerhin so weit entsprochen, dass man die Regelungen des Verwandtenbesuches lockerte – was den Bossen ermöglichte, ihre Geschäfte auch aus dem Gefängnis heraus zu betreiben.
    Einer, der in den Genuss dieser Erleichterungen kommen sollte, war der inhaftierte Don Vito. Immer wieder schrieb ihm Bernardo Provenzano kleine Botschaften, die ihm von seinem Sohn Massimo überbracht wurden – undin denen er in seinem weihevollen Duktus voller Tippfehler versicherte, dass er sich bei seinen neuen politischen Gesprächspartnern für eine Amnestie einsetze: » Mi è stato detto dal nostro sen. e dal nuovo Pres.; che spigeranno la nuova soluzione per la sua sofferenza; appena ho notizie velifaro avere. « Von unserem Senator und vom neuen Ministerpräsidenten wurde mir gesagt, dass sie die neue Lösung für Ihr Leiden vorantreiben werden; sobald ich Neuigkeiten weiß, werde ich sie wissen lassen.« Mit »unserem Senator« sei unzweifelhaft Marcello Dell’Utri gemeint gewesen, erklärte Massimo Ciancimino im Gerichtssaal. Don Vitos Gefängnisstrafe sollte ein Ende gemacht werden.
    Inzwischen ist Massimo Ciancimino bis an den Rand des Sofas gerutscht, das Kinn liegt auf seiner Brust, wenn er spricht. Es sieht aus, als würde er gleich vom Sofa fallen. Er sagt, dass er erst Vertrauen zur Justiz gefasst habe, als seine Aussagen von den Staatsanwälten ernst genommen wurden, die einst die ärgsten Feinde seines Vaters waren: Staatsanwalt Roberto Scarpinato, dem einstigen Chefankläger von Ministerpräsident Giulio Andreotti, und Staatsanwalt Antonio Ingroia, dem einstigen Vertrauten des von der Mafia ermordeten Richters Paolo Borsellino.
    »Für mich war das eine Garantie«, sagt Ciancimino. »Scarpinato konnte auf gar keinen Fall zu jenen Staatsanwälten gehören, die einst mit meinem Vater unter der Decke gesteckt haben. Staatsanwälte wie Scarpinato, Ingroia, Di Matteo – da dachte ich, ich bin in guten Händen.«
    Ganz Italien fragt sich, was Massimo Ciancimino treibt. Italiener sind leidenschaftslos in der Beurteilung der Beweggründe eines Menschen. Keiner glaubt daran, dass einer allein aus Liebe zur Wahrheit eine solche Entscheidung trifft. Also bleibt die Wahrung des angeblichen väterlichen Schatzes als Motiv übrig. Die natürliche Skepsis der Italienerwird von allen Berlusconi’schen Medien bedient: Um Massimo Cianciminos Glaubwürdigkeit zu untergraben, wurde die ganze Berlusconi’sche Medienmacht aufgeboten, Chefredakteure der Hauptnachrichten von Rai Uno, Leitartikler, Moderatoren – alle versuchten sich gegenseitig darin zu übertreffen, Ciancimino als »Bauchredner« zu diffamieren, einen, der nichts belegen könne, weil er nur das referiere, was ihm sein Vater

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