Von Kamen nach Corleone
auch, dass die Wohnung mitten in Palermo, in der Riina mit seiner Frau und seinen Kindern gewohnt hatte, erst von der Polizei durchsucht wurde, nachdem alle verdächtigen Unter lagen beseitigt worden waren; der Mafia blieb sogar noch so viel Zeit, die Wände frisch zu streichen. Verantwortlich für die nicht erfolgte Durchsuchung der Wohnung war der Carabiniere-General Mario Mori, dem in Palermo deshalb viele Jahre später der Prozess gemacht werden sollte.
Die Unterlagen, die Totò Riina in der Wohnung aufbewahrte, hätten ausgereicht, um die gesamte italienische Republik zu Fall zu bringen, sagte Massimo Ciancimino später während des Prozesses gegen den Carabiniere-General aus. Der misstrauische Riina, so habe ihm sein Vater offenbart, habe für den Fall einer Verhaftung stets genügend belastendes Material in seinen Verstecken aufbewahrt, aus dem hervorging, welche Politiker ihm nützlich gewesen waren. Wenn sie nicht verhinderten, dass er verhaftet wurde, sollten sie gemeinsam mit ihm untergehen.
Riinas Verhaftung war das erste Ergebnis der trattativa . Riinas Festnahme war Bernardo Provenzanos Morgengabe, sein Zugeständnis für die Umsetzung der Forderungen in der trattativa . Der italienische Staat brauchte dringend einen Fahndungserfolg und sollte ihn bekommen. RiinasFestnahme sollte die Italiener besänftigen, zumindest vorübergehend: Seht her, der italienische Staat ist noch nicht geschlagen!
Später sagte Massimo Ciancimino vor Gericht in Palermo aus, dass sein Vater gemeinsam mit dem Boss Bernardo Provenzano die Gefangennahme von Totò Riina vorbereitet hatte, oder besser: die Auslieferung des »Verrückten«, wie ihn Provenzano und Ciancimino zu nennen pflegten. Der mit seinem blutigen Krieg nach innen und nach außen den Rückhalt in der Bevölkerung und in der Mafia verloren hatte – jenen Humus, ohne den die Mafia nicht gedeihen kann. Niemand wusste das besser als Vito Ciancimino und Bernardo Provenzano.
Dass Totò Riina ein Geschenk von Bernardo Provenzano war, ahnten schon damals viele, nicht zuletzt Totò Riinas Sohn Giovanni. Als Provenzano nach seiner Verhaftung 2006 ins Hochsicherheitsgefängnis von Terni gebracht wurde, in dem Giovanni Riina bereits seine lebenslängliche Strafe verbüßte, da schmähte er Provenzano als sbirro , als Polizeispitzel.
Allerdings brachte selbst die Verhaftung von Totò Riina die Verhandlungen zwischen Staat und Mafia noch nicht zu einem erfolgreichen Geschäftsabschluss. Cosa Nostra hatte immer noch keinen verlässlichen neuen politischen Ansprechpartner gefunden. Und auch Don Vito Ciancimino sollte seine Vermittlerrolle kein Glück bringen: Kurz nach der Verhaftung Riinas wurde er als Gehilfe der Mafia festgenommen und in das römische Gefängnis Rebibbia gebracht, wo er die nächsten sieben Jahre verbringen sollte. Don Vito war überflüssig geworden. Für die Verantwortlichen des italienischen Staates, mit denen er zusammengearbeitet hatte, war er ein lästiger Zeuge für die Machenschaften zwischen Mafia und Staat geworden. Und für dieMafia war er, als Protagonist des alten Parteiensystems, als Repräsentant der inzwischen verblichenen Democrazia cristiana, auch nicht mehr nützlich, jener Partei, die mehr zum Totenreich als zur Zukunft gehörte.
Um die Umsetzung der trattativa zu beschleunigen, trieb die Mafia die Strategie des Terrors weiter: Im Sommer 1993 folgten eine ganze Serie von Attentaten, die Cosa Nostra sprengte mit TNT gefüllte Autos in die Luft, in Florenz in der Via Georgofili unweit der Uffizien, in Rom gegenüber der Kirche San Giorgio al Velabro, in Mailand in der via Palestro, unweit der Galerie für Moderne Kunst. Das letzte geplante Attentat im römischen Olympiastadion hätte Hunderte von Carabinieri töten sollen. Doch dann habe der Zeitzünder der Autobombe nicht funktioniert, sagten abtrünnige Mafiosi später aus. Dass der Zeitzünder nicht funktioniert haben soll, nährte den nie ausgeräumten Verdacht, dass die Cosa Nostra zu jenem Zeitpunkt bereits einen neuen politischen Ansprechpartner gefunden hatte.
Gleich nach der Verhaftung von Don Vito hatte die zweite Phase der Verhandlungen mit dem Staat begonnen – nun mit der rechten Hand von Silvio Berlusconi, Marcello Dell’Utri. Sizilianer. Dieser sei von der Cosa Nostra ausgesucht worden, weil er bereits die Gelder des Bosses Stefano Bontade so erfolgreich investiert habe – in Berlusconis Unternehmen Fininvest. So sagte das nicht nur Massimo Ciancimino aus, sondern
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