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Von Kamen nach Corleone

Von Kamen nach Corleone

Titel: Von Kamen nach Corleone Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Reski Petra
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zerfetzte.
    Wenig später wurde die Geschichte von dem kleinen Giuseppe di Matteo bekannt. Und die Mädchen hörten auf zu schwärmen. Giuseppe di Matteo war acht Jahre alt, als ihn Giovanni Brusca entführen ließ. Zwei Jahre und drei Monate lang wurde er in einem unterirdischen Verließ gefangen gehalten, schließlich erwürgt und in Säure aufgelöst. Der Vater des kleinen Giuseppe di Matteo war zum Abtrünnigen geworden, einer, der mit den Schergen zusammenarbeitete.
    Aber das schlimmste Verbrechen, das die Brüder Brusca in den Augen der Bewohner San Giuseppe Jatos begehen konnten, war, selbst zur Justiz überzulaufen. Anders als ihr Vater, Bernardo Brusca, der im Gefängnis gestorben war – aufrecht, wie es unter Mafiosi heißt, wenn sie angesichts des Todes nicht um ihr Leben betteln: Bis zum letzten Atemzug lehnte er es ab, auszusagen. Nur seine Frau Antonina Brusca lebte noch in San Giuseppe Jato und beweinte ihr Schicksal. Als sie erfuhr, dass ihr Giovanni den kleinen Sohn eines abtrünnigen Mafiosos entführt, gefangen gehalten, erwürgt und in Säure aufgelöst hatte, um dessen Vater zum Schweigen zu bringen, da berief sie sich auf Gott und verfluchte nicht ihren Sohn, sondern den Vater des ermordeten Kindes als gottlose Seele: ein Lügner wie alle anderen Reuigen auch. Sie zeterte und spie Galle – bis zu jenem Tag, als ihre drei Söhne ihr jenen Stoß versetzten, von dem sie sich nie mehr erholte: Auch sie liefen zur Justizüber, auch sie hatten sich über Nacht in gottlose Seelen verwandelt. Wochenlang zeigte sich die Mutter nicht im Dorf. Sie ertrug die Blicke nicht. Von jenem Tag an verließ sie das Haus nur noch, um zur Früh- und Abendmesse zu gehen und sich in der Kirche die Augen auszuweinen. Diese Schande.
    »Ach, Mafia«, seufzte Don Giglio, als ich ihn vor seiner Kirche traf und nach den Brusca fragte. Diese ganze Propaganda um die Mafia herum sei letztlich doch größer als die Mafia selbst. Heute säßen doch alle im Gefängnis, es gebe gar keine Mafiosi mehr.
    Der Pfarrer stand in der Bar am Fuß der Piazza, er setzte die Espressotasse an die gespitzten Lippen und sog langsam und bedächtig den schwarzen Sirup in den Mund. Don Onofrio Giglio war seit einem ganzen Menschenleben Pfarrer in San Giuseppe Jato, ein behender Achtzigjähriger mit listigen Augen. Er war keine dreißig Jahre alt, als er die Pfarrei übernahm, im Krieg, als man den Fall der Faschisten schon riechen konnte. Liebe deinen Nächsten wie dich selbst! Das sei seine Aufgabe. Nicht mal den Kommunisten hatte er die Sakramente verweigert! Nur den Bürgermeister hatte er abgewiesen, denn bei ihm habe der Kommunismus im Kopf gesessen und nicht im Bauch wie bei allen anderen.
    Der Herr sucht nach dem verlorenen Schaf, nach dem verlorenen Sohn, er vergibt der Sünderin! Natürlich muss Don Giglio auch zum Mafioso gehen, wenn er ihn ruft! Seelen retten! Das ist die Aufgabe eines Pfarrers. Man habe hier noch Achtung vor dem Priester, der seine Pflicht tut.
    Dann nahm er wieder einen Schluck Espresso und erzählte von den Umbauarbeiten in seiner Kirche, die dank der großherzigen Spenden einiger Wohltäter nun endlich zu einem Ende gekommen waren. Seine Kirche war seinSchatzkästlein. Ihr Inneres funkelte im milden Nachmittagslicht und roch nicht nach Weihrauch, sondern nach Wandfarbe. Und während Don Giglio die neuen Marmorfliesen, die moderne Fußbodenheizung und die noch feuchte Trompe-l’oeil-Malerei am Chor zeigte, versuchte ich mir vorzustellen, wie in dieser Kirche alle zusammen beten, Mörder und Opfer, nebeneinander in der Kirchbank.
    Don Giglio aber sprach nur über die zehntausend Euro, die für die via Crucis ausgegeben wurden, Öl auf Seide, abstrakt, der Maler war ein Südafrikaner. Die Bank von Sizilien spendete, die Cassa Rurale, ein Freund aus New York, eine alte Dame – und am Ende hatte Don Giglio fünfzehntausend Euro gesammelt. Die Namen der Spender waren im Altar eingraviert. »Ihre Herzen wärmen den kalten Marmor, denn es sind Herzen von Gläubigen, die auch den Armen helfen!«, rief Don Giglio. »Die Barmherzigkeit! Die Barmherzigkeit! Für alle! Christus hat gegen die Sünde gekämpft, aber er liebte den Sünder!«
    »Auch diejenigen, die Kinder in Säure auflösen?«, fragte ich. Und sah, wie ein Hauch von Unverständnis, eine leichte Irritation Don Giglios Mund zerknitterte. »Meinen Sie die Ärzte, die Abtreibungen vornehmen?«, fragte er gedehnt. Dann tat er so, als würde er gerade erst begreifen.

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