Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Von Lichtwiese nach Dunkelstadt

Von Lichtwiese nach Dunkelstadt

Titel: Von Lichtwiese nach Dunkelstadt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ivar Leon Menger , John Beckmann
Vom Netzwerk:
sagte der große, schwere Mann in dem Ohrensessel schon: „Ich muss jetzt los. Pass auf dich auf, Dodo! Ich melde mich wieder.“
    Und ich sagte: „Hallo? Hallo Herr …? Wie heißen Sie überhaupt?“, obwohl ich das Klacken laut und deutlich gehört hatte.
    „Lass uns gehen“, sagte Strom-Tom leise. „Dann haben wir es hinter uns.“ Er wirkte auf einmal sehr niedergeschlagen.
    Ich atmete tief durch. „Okay.“
    Und dann gingen wir los.

Die Grenze

    Zum zweiten Mal an diesem Tag schlurfte ich am staubigen Rand der Landstraße vorbei an den immergleichen Spargelfeldern. Die Sonne stand hoch am wolkenlosen Himmel, und ich hatte es längst aufgegeben, meine Stirn trockenzuwischen.
    „Wie weit ist es denn noch?“
    „Sind bald da“, sagte Strom-Tom.
    Auch nach mehrmaligem Nachfragen änderte sich der Inhalt seiner Antwort nicht, lediglich die Antwort selbst wurde zunehmend kürzer. Nach „Bald da“ folgte „Bald“, und als Strom-Tom schließlich überhaupt nicht mehr antwortete, war ich längst davon überzeugt, im Kreis zu laufen. Wenn der Bogen groß genug ist, bemerkt man die Krümmung nicht – aber das wisst ihr bestimmt selbst. Nur für die fortwährend an derselben Stelle klebende Sonne hatte ich noch keine Erklärung gefunden. Schließlich meldete sich Strom-Tom doch wieder zu Wort und dirigierte mich auf einen schmalen Feldweg, den ich auf den vorherigen Runden übersehen haben musste. Der Weg endete am Rand eines dichten Waldes. Ich rettete mich in den Schatten der hohen Bäume, versuchte mit dem T-Shirt-Ärmel den Schweiß aus meinen Augen zu reiben und sah mich um. Die Gegend und der Wald waren mir völlig unbekannt.
    „Wo sind wir?“
    „Bald da“, wechselte Strom-Tom zurück zur mittellangen Antwort. „Siehst du den Herz-Baum?“
    „Den was?“
    „Wenn du ihn siehst, weißt du, was ich meine.“
    Ich seufzte, drückte einige Äste auseinander und betrat den Wald. Bereits nach wenigen Schritten waren Himmel und Sonne hinter den mächtigen Baumkronen verschwunden.
    „Ich glaube … ich glaube, da vorne ist er“, sagte ich.
    Der Stamm war kurz über der Erde gespalten worden, vermutlich von einem Blitz. Weiter oben wuchsen die beiden Hälften wieder zusammen und bildeten so ein formvollendetes Herz.
    „Gut“, sagte Strom-Tom. „Dann musst du einfach nur weiter geradeaus.“
    „Wie konnte der so wachsen?“ Ich betrachtete noch immer den Herzbaum.
    „Wenn wir erst mal hinter der Grenze sind, interessiert dich das nicht mehr.“
    Ich stutzte. „Ich denke, du warst noch nie hinter der Grenze.“
    „Man hört so einiges …“, murmelte Strom-Tom.
    Je tiefer wir in den Wald vordrangen, desto enger schoben sich die Stämme zusammen. Ich duckte mich durch das Unterholz und stieg über bauchdicke Wurzeln. Es wurde zunehmend dunkler und kälter, bis die Bäume vor mir abrupt und unerwartet auseinanderrückten und den Blick auf eine sonnenbeschienene Lichtung freigaben. Der Waldboden stieg an, als hätte er sich spontan entschieden, den freien Platz für eine Anhöhe zu nutzen – zu mehr als einem zwei Meter hohen, moosbewachsenen Hügel hatte es jedoch nicht gereicht. Dafür blühten die Wildblumen in einem lieblichen Rosa und am Fuße des Hügels plätscherte ein kleiner Bach ins Freie. Erschöpft ließ ich mich auf das Moos sinken und begann gierig zu trinken.
    „Sind wir hier richtig?“, fragte ich zwischen den Schlucken.
    „Ist das Wasser warm?“, fragte Strom-Tom zurück.
    „Ja, ist warm.“ Ich trank und trank, doch die Sandkiste in meinem Mund blieb.
    „Pipi-warm?“, fragte Strom-Tom.
    „Äh …“ Ich hörte auf zu trinken und betrachtete das Wasser. Es war kristallklar. „Ja, vielleicht.“
    „Und kommt es aus einer kleinen Höhle?“
    „Keine Ahnung.“
    „Dann sieh gefälligst nach!“
    Schwerfällig stand ich auf. Die Quelle des Bachs war eine halbkreisförmige Öffnung, die mir knapp bis zum Bauchnabel reichte. Der Rand der Öffnung bestand aus groben Backsteinen, in die etwas eingeritzt worden war.
    „Da ist so ein Loch“, fasste ich meine Entdeckung zusammen. „Und da sind so komische Zeichen.“
    „Dann sind wir richtig.“
    „Was bedeuten die Zeichen denn?“
    Sie sahen aus, als habe sich ein Betrunkener mit einer Maurerkelle an chinesischer Kalligraphie versucht.
    „Willst du das wirklich wissen?“, fragte Strom-Tom.
    Ich beugte mich vor und sah in die Öffnung. Nach etwa zwei Metern verschwand der Bach in der Dunkelheit. „Ja, natürlich. Sonst

Weitere Kostenlose Bücher