Von Lichtwiese nach Dunkelstadt
würde ich ja nicht fragen.“ Ich richtete mich wieder auf, da mein Rücken schmerzte.
„Na gut. … Da steht: Auf gutes Leben folgt gutes Sterben.“
„Was … was bedeutet das?“ Auf einmal steckte ein dicker, schleimiger Brocken in meinem Hals.
„Keine Ahnung. Klingt auf jeden Fall nicht besonders einladend, oder?“
„Welche Sprache ist das überhaupt?“ Ich versuchte, den Kloß hinunterzuschlucken, doch er steckte fest. „Das hast du dir doch ausgedacht, um mir Angst zu machen!“
„Nein, das steht da leider wirklich. Was meinst du denn, warum ich da nicht rein will?“
„Dann gehe ich da auch nicht rein!“
„Doch, Dodo, Dodo …“ Strom-Tom seufzte. „Wir müssen da rein. Der Chef hat‘s befohlen.“
„Aber das ist doch kein Grund!“, platzte es aus mir heraus. „Nur weil der Chef es gesagt hat, sollen wir beiden unser Leben riskieren? Außerdem: Was bringt mir eine Sofort-Rente, wenn ich tot bin?“
„Ärgere den Chef lieber nicht!“, unterbrach mich Strom-Tom. „Er hört nämlich alles, was wir sagen.“
„Wirklich alles?“
„Jedes Wort! Schließlich ist er der Chef. Hast du das noch immer nicht verstanden?“
Plötzlich hatte ich eine Idee. Ich formte meine Hände zu einem Trichter und rief: „Pupsbacke!“ Ich brüllte: „Pimmelzwerg!“ Ich grölte: „Eierloch!“
Niemand antwortete. Nur einige Krähen erhoben sich in die Lüfte und flogen pikiert davon.
„Was machst du denn da?“, blaffte Strom-Tom.
„Ich will testen, ob er uns hört“, erklärte ich ruhig.
„Hör auf damit! Du machst ihn noch sauer. Und dann krieg ich wieder den ganzen Ärger!“
Ich johlte: „Tausendfüßler mit Schweißgeruch!“
„Muss ich erst wieder mit Stromschlägen drohen? Stehst du darauf, oder was?“
In meiner Hosentasche verkündete ein Trompetenschmettern das Bevorstehen des Jüngsten Gericht und jagte auch die anderen Tiere in die Tiefe des Waldes.
„Verdammt, der Chef!“, stieß Strom-Tom hervor.
„Du hast vielleicht eine Angst vor dem“, sagte ich und holte das Handy aus meiner Hosentasche.
„Wenn du wüsstest …“
Ich drückte den grünen Knopf und legte meine freundlichste Stimme auf: „Hallo Chef!“
„Ich wollte ihn gerade unter Strom setzen! Wirklich!“, rief Strom-Tom, noch bevor sich überhaupt jemand gemeldet hatte.
„Hallo Dodo“, sagte der große, schwere Mann in dem Ohrensessel. Auch er klang bestens gelaunt. „Du wirst immer selbstbewusster, das gefällt mir. Weiter so!“
„Na ja“, sagte ich, „in meinen Träumen ist alles möglich.“
„Das ist kein Traum, Dodo.“
„Doch, doch“, hielt ich dagegen. „Wahrscheinlich liege ich noch immer vor der Telefonzelle im Staub. Deshalb ist auch mein Mund die ganze Zeit so trocken.“
„Das ist kein Traum“, sagte der Mann noch einmal, „aber das wirst du schon noch früh genug merken. Ich wollte mich auch nur kurz von dir verabschieden und dir Glück wünschen! Ich kann leider nicht mitkommen. Sonst hätte ich es ja selbst gemacht.“
„Ja, danke.“ Das Telefonat begann mich zu langweilen. „Gibt‘s sonst noch was?“
Der Mann lachte sein raues Lachen, als hätte ich gerade etwas unglaublich Witziges gesagt. „Nein, Dodo, das war‘s auch schon.“ Er wurde wieder ernst. „Aber lass das Handy bitte hier am Eingang liegen. Du hast da drinnen sowieso keinen Empfang. Ich kann mich also nicht bei dir melden. … Du bist völlig auf dich allein gestellt, verstehst du?“ Er machte eine kurze Pause. „Aber du schaffst das schon! Du bist schließlich der Held! Und wenn du meinen Löffel hast, dann komm schnell wieder her. Ich rufe dich dann an. Alles klar, Dodo?“
„Okaykay“, sagte ich.
„Hey, das ist mein Spruch!“, hallte es empört aus meinem Bauch.
„Schön. Wir hören uns dann“, sagte der große, schwere Mann. „Viel Glück, Dodo!“ Dann legte er auf.
„Ach Mist!“, sagte ich und betrachtete das erloschene Handydisplay. „Jetzt habe ich ganz vergessen zu fragen, was dieser Gutes-Leben-Spruch am Eingang bedeuten soll.“
„Können wir jetzt bitte einfach reingehen?“, fragte Strom-Tom. „Ich habe deinetwegen schon genug Ärger am Hals.“
Ein weiteres Mal sah ich prüfend in die Öffnung. Das Bild hatte sich nicht verändert: Nach etwa zwei Metern verschwand der Bach in absoluter Finsternis. Ich wollte dort nicht hinein. Auf der anderen Seite: Was hatte ich denn schon zu verlieren? Früher oder später würde ich ohnehin aufwachen. Warum also nicht einmal
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