Von Lichtwiese nach Dunkelstadt
positionierte sie mittig auf meiner Zunge und schluckte. Es klappte nicht. Mein Mund war einfach zu trocken.
„Nun mach schon!“, trieb Strom-Tom mich an.
„Mein Mund ist zu trocken.“
„Denk an was Leckeres! Dann kommt die Spucke von ganz allein.“
Ich dachte an Omis Kamillenkuchen und schlucke erneut. Eine Billardkugel quetschte sich durch meinen Hals. Der Druck verschwand, und Strom-Tom schrie auf.
„Was ist?“, fragte ich. Mein Rachen brannte, als hätte ich einen Liter Tabasco getrunken.
„Der Schlüssel ist mir auf den Kopf gefallen“, jammerte Strom-Tom.
„Dann sind wir jetzt wohl quitt.“ Ich lachte, doch mein Hals tat weh, also ließ ich es gleich wieder. „Sag mal, ist es da eigentlich gefährlich, wo wir hingehen?“
Strom-Tom antwortete nicht sofort. „Angenehm wird es garantiert nicht …“
„Hast du etwa Angst?“
„Ich? Quatsch!“ Dann fügte er hinzu: „Na ja … vielleicht ein bisschen. Ich war noch nie hinter der Grenze.“
„Ja, und?“
„Wenn du wüsstest …“
Auf einmal fühlte ich mich irgendwie unwohl – und das lag nicht nur an den Halsschmerzen. „Was ist denn hinter der Grenze?“
„Pssst! Nicht so laut! Also, pass auf …“ Strom-Tom senkte seine Stimme zu einem Flüstern. „Das Gefährliche hinter der Grenze ist -“
Wie aus dem Nichts ertönten ohrenbetäubende Fanfaren. Reflexartig schlug ich meine Hände auf die Ohren und drehte mich im Kreis, ohne jedoch ein Blasorchester ausfindig machen zu können.
„Was ist das?“, schrie ich, während weitere Trompeten-Salven auf uns niedergingen.
„Der Chef!“, schrie Tom zurück.
Von den Bänken aus beobachtete uns kopfschüttelnd eine Gruppe alter Damen. Eine Entenfamilie flüchtete sich auf die andere Seite des Teichs. Sonst war niemand zu sehen. „Wo denn?“
„Am Telefon! Geh an dein Handy!“
„Ich hab gar kein Handy!“
„Doch“, beharrte Strom-Tom, „jetzt schon. Schau in deiner Tasche nach!“
Ich griff in meine Hosentasche und holte ein Handy heraus. Das Getöse wurde sogar noch lauter, was wahrscheinlich auch daran lag, dass jetzt eines meiner Ohren ungeschützt war.
„Tatsächlich!“, brüllte ich gegen die Bläser an. „Wo kommt das denn her?“
„Geh schon ran! Sonst wird der Chef sauer!“
Ich drückte den grünen Knopf. Die Fanfaren verstummten augenblicklich. Es war wunderbar still. Nur von den Sitzbänken der alten Damen war leises Gezeter zu hören.
„Ja, hallo?“, hauchte ich zaghaft ins Telefon.
Der große, schwere Mann am anderen Ende klang sehr erbost. „Strom-Tom, du kennst die Regeln! Was habe ich dir gesagt?“
„Ich weiß, Chef“, antwortete Strom-Tom kleinlaut, „ich darf nichts sagen.“
„Ganz genau! Und warum darfst du nichts sagen?“
„Weil … ähm … weil Dodo sonst Angst bekommt und dann nicht mehr hinter die Grenze will?“
„Nein. Weil es sonst für unsere Leser langweilig wäre. Dann könnten sie ja jetzt genauso gut das eBook beiseite legen und wichtigere Sachen erledigen. Wie Rasenmähen, Abspülen oder Hausaufgaben machen.“
„Okaykay, Chef.“
„Hast du den S7?“
„Ja, hab ich, alles bestens.“
„Gut“, sagte der Mann in dem Ohrensessel. „Dann kann‘s ja losgehen.“
„Moment mal“, schaltete ich mich ein. „So geht das aber nicht! Warum fragt mich eigentlich keiner, was ich will? Ich habe doch auch ein Mitspracherecht!“ Mein Ausbruch überraschte mich, und ich verlor sogleich den Faden. „Ihr könnt doch nicht einfach … einfach so … oder?“
„Dodo“, sagte der Mann am Telefon. Seine Stimme wurde plötzlich ganz weich und floss wie Honig durch die Leitung. „Du bist der Held dieser Geschichte. Du holst mir den rot-gelb gestreiften Löffel wieder.“
„Und wenn ich gar kein Held sein will?“
„Du bist der Auserwählte, Dodo. Nur du kannst mir den Löffel zurückbringen.“
„Aber wieso gerade ich?“
„Bitte, Dodo. Ich brauche dich! Du bist ein feiner Kerl. Du bist ehrlich, fleißig, strebsam – du hast ein gutes Herz. So was findet man heutzutage kaum noch. Deshalb habe ich dich ja ausgesucht. Nur du kannst es schaffen, den Löffel aus der Welt auf der anderen Seite der Grenze zurückzubringen.“
„Ich verstehe“, sagte ich und dachte nach. „Aber wird das nicht gefährlich – in dieser anderen Welt?“
„Wenn du so ein guter Mensch bleibst, wie du jetzt bist, dann wird dir nichts passieren.“
Ich grübelte weiter, es gab noch so vieles, was ich nicht verstand, doch da
Weitere Kostenlose Bücher