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Von Lichtwiese nach Dunkelstadt

Von Lichtwiese nach Dunkelstadt

Titel: Von Lichtwiese nach Dunkelstadt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ivar Leon Menger , John Beckmann
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Spiegelbild winkt ein letztes Mal und verschwindet.
    „Dodo, was ist mit dir?“, fragt Lilly. Sie klingt, als hätte ihr mein Selbstgespräch gehörig Angst eingejagt.
    Ich will mich gerade vom Teich abwenden, als ein neues Bild im Birkenwasser erscheint. Ich sehe einen Garten und eine Terrasse mit einer taubenblauen Markise. Ein großer, dünner Mann schiebt ein grünes Etwas über den Rasen. Das Etwas funkelt in der Sonne und faucht ohne Ende, so als wäre es auf jemanden ganz schön stinkig. Seine Zähne rotieren so schnell, dass es wie ein Kreisel aussieht, und sein Bauch füllt sich mehr und mehr mit Grashalmen, doch das beruhigt das grüne Monster auch nicht. Der Mann wischt sich übers Gesicht und ich sehe, dass es eigentlich noch gar kein Mann ist, sondern mehr ein Junge, der einfach nur ziemlich groß gewachsen ist und dessen Haar sich am Hinterkopf bereits lichtet. Der Junge dreht sich um, und ich erkenne, dass ich es bin, der da das grüne Ungeheuer vor sich herschiebt. Das Bild verschwindet, wird durch ein neues ersetzt, aber auch dieses bleibt nicht lange. Ich sehe ein gelbes, schmales Häuschen und einen Raum mit bunten Farben. Ich sehe einen Sperling und eine alte Frau mit grauen Locken. Ich sehe ein U-Boot, das wie ein Fisch aussieht und einen Zug, der an einen Tausendfüßler erinnert. Dann hält die Dia-Show abrupt an. Ich stehe am Ende eines langen Metallstegs. Wind zerrt an meiner Kleidung. Unter mir gähnt ein schwarzes Loch von der Größe von mindestens zwei Krakrak-Bäumen. Die Wände des Schachts sind aus Metall. Der unendliche Schacht, denke ich und frage mich, woher ich seinen Namen kenne. Ein großer, schwerer Mann kommt auf mich zu. Er hat Mühe, seinen Cowboyhut auf dem Kopf zu behalten. Blut tropft von seiner Nasenspitze und auch sonst sieht er alles andere als gut gelaunt aus.
    „Gib ihn mir!“, schreit der Mann gegen den Wind an. „Gib ihn mir, und ich rette uns beide!“
    Ich schüttele den Kopf.
    „Ich verzeihe dir!“ Der Mann kommt langsam näher. „Gib mir den Löffel und wir herrschen gemeinsam über Dunkelstadt und Lichtwiese! Als Chef und Sohn!“
    Ein dumpfes Krachen wie von einer Explosion erschüttert den Steg, und ich klammere mich ans Geländer, um nicht in die Tiefe zu stürzen.
    „Du hast heute sowieso keinen Wunsch mehr frei!“, brüllt der Mann. Sein Cowboyhut ist plötzlich nicht mehr da, was seine Laune nicht gerade verbessert. „Gib mir den Löffel oder stirb!“
    „Keinen Schritt weiter!“, rufe ich und halte etwas über den Abgrund. Es ist ein rot-gelb gestreifter Löffel.
    „So dumm bist du nicht!“, brüllt der Mann, aber er bleibt trotzdem stehen.
    „Ich tu‘s! Und dann ist er für immer verloren! Dann können Sie kein Unheil mehr damit anrichten.“
    Der Mann lacht, obwohl er gar nicht vergnügt aussieht. „Du Narr! Glaubst du wirklich, ich brauche den Löffel dafür? Mac Igor hat ihn für euch geschaffen, nicht für mich! Ich komme auch so zurecht. Aber ihr … ihr seid ohne den Löffel verloren.“
    Ich spüre, dass er recht hat. Und ich schaue hinab in den schwarzen Abgrund und denke: Ich bin unsterblich. Ich bin unsterblich und morgen habe ich einen neuen Wunsch frei. Dann lasse ich mich einfach vornüberkippen, der schwere Mann schreit mir ein langgezogenes „Neiiiiin!“ hinterher, und die Schachtwände rasen an mir vorbei. Ich stecke den Löffel in den Mund und denke: Ich wünsche mir, dass Herr Langlöffler den Löffel zu meiner Omi bringt. Und weil ich nicht weiß, wie spät es ist, wünsche ich es mir einfach immer wieder und hoffe dabei, dass der Schacht tief genug ist.

Das Ende vom Ende

    Die Wasseroberfläche erlischt endgültig. Der Teich ist nur noch ein Teich.
    „Es tut mir leid, Dodo“, sagt eine warme Stimme hinter mir. „Du musst nun gehen.“ Es ist Tante Hablieblieb. „Du musst Lichtwiese verlassen.“
    Ich weiß nicht, was ich sagen soll, ich weiß nicht einmal, wie ich sie nennen soll, also schaue ich sie nur an, die große, weiße Gestalt mit dem ebenmäßigen Gesicht. Wie eine griechische Statue, denke ich und frage mich abermals, woher ich diese Worte kenne.
    Sie schlägt die Augen nieder und sieht Lilly an. „Auch du musst gehen.“
    „Aber ich hab doch gar nichts gemacht!“, sagt Lilly.
    „Es geht nicht anders“, sagt die Gestalt neben Tante Hablieblieb. Erst jetzt erkenne ich Kuckuck Rosenzopf, der jetzt noch kleiner und gebrechlicher und irgendwie auch ein wenig schuldbewusst aussieht. „Ihr müsst

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