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Von Lichtwiese nach Dunkelstadt

Von Lichtwiese nach Dunkelstadt

Titel: Von Lichtwiese nach Dunkelstadt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ivar Leon Menger , John Beckmann
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wer sind Sie?“, stoße ich hervor.
    „Man nennt mich Kuckuck Rosenzopf.“
    Die Glüh-Räupchen kriechen aufgeregt über den Kellerboden und lassen die Schatten des alten, gebeugten Manns gespenstisch über die Wände tanzen.
    „Seit dem Mittag wart ihr im Wald und habt gewartet“, sagt Kuckuck Rosenzopf und sein Gesicht bekommt einen listigen Ausdruck. „Ihr dachtet wohl, ich sehe euch nicht. Aber ich sehe alles. Diese alten Augen sehen weit mehr, als ihr vermutet.“
    Er tritt einen Schritt aus der dunklen Ecke heraus.
    „Es tut uns leid, wir wollten wirklich nicht –“, beginnt Lilly.
    „Mich interessiert nicht, was ihr nicht wolltet“, schneidet ihr Kuckuck Rosenzopf das Wort ab. Auch bei näherer Betrachtung hat er keinerlei Ähnlichkeit mit einem Kuckuck, und sein rotes Gewand ist das Einzige, was entfernt an Rosen erinnert. Gut möglich, dass er als junger Mann seine Haare zu einem Zopf gebunden hat, doch jetzt sind sie zu kurz und auch zu wenige dafür. „Mich interessiert nur, warum ihr hier seid“, bringt er seinen Satz zu Ende. „Und warum ihr auf die andere Seite wollt.“
    Ich suche nach einem Grund, den er nicht ablehnen kann, nach einem Grund, der ihm gar keine andere Wahl lässt, als uns über die Grenze zu lassen, aber mir will einfach keiner einfallen. Zudem habe ich das unbestimmte Gefühl, dass Kuckuck Rosenzopf den wahren Grund bereits kennt, also sage ich: „Ich suche nach meinen Eltern.“
    Kuckuck Rosenzopf nickt. „Das ist ein guter Grund. Aber ich kann euch trotzdem nicht auf die andere Seite lassen.“
    Ich fühle mich, als hätte mir jemand in den Magen geboxt. „Warum nicht?“
    „Alles in Lichtwiese hat seinen Grund. Alles hat seine Ordnung. Wenn jemand von der anderen Seite zurückkehrt, gefährdet es diese Ordnung.“
    „Es gibt noch einen anderen Grund“, sagte Lilly. „Unser Freund …“
    „Unser Freund ist in den Abgrund gefallen“, sage ich. „Wir müssen ihn retten!“
    Kuckucks Rosenzopfs Gesichtsausdruck verändert sich. Er sieht besorgt aus. „Ihr würdet ihn sowieso nicht finden. Auf der anderen Seite regiert das Chaos. Wir können nur hoffen, dass euer Freund seinen Weg von alleine zurückfindet. Es gibt keine andere Möglichkeit.“
    Ich weiß nicht, was ich noch sagen soll, also sage ich: „Aber wir müssen über die Grenze!“ Und Lilly fügt hinzu: „Bitte, bitte, bitte!“
    Kuckuck Rosenzopf schüttelt nur den Kopf. „Es gibt keine andere Möglichkeit“, sagt er noch einmal. „Geht jetzt. Dies ist kein Ort für Kinder.“
    Doch ich kann nicht gehen. Selbst wenn ich es wollte, ich bin unfähig, mich zu bewegen. Ich kann einfach nicht aufgeben. Wahrscheinlich weiß Kuckuck Rosenzopf auch das, denn er nimmt mich am Arm und sagt: „Ich bringe euch hinaus.“ Dann erstarrt er plötzlich. Seine Augen weiten sich und sein Griff um meinen Arm wird fester.
    „Was ist los?“, fragt Lilly. „Was haben Sie?“
    Kuckuck Rosenzopf beginnt zu zittern.
    „Dodo, was ist los?“, fragt Lilly.
    Seine knochigen Finger krallen sich in mein Fleisch, und jetzt bekomme ich es auch mit der Angst zu tun. „Ich weiß es nicht. Ich hab gar nichts gemacht!“
    Kuckuck Rosenzopf presst seine Augen zusammen und schüttelt immer wieder seinen Kopf. Dann gelingt es ihm, mich loszulassen. Er taumelt zurück. „Es tut mir leid, es tut mir leid.“ Er stützt sich mit beiden Händen auf seinen Stock und atmet so schwer, dass ich befürchte, er könne ohnmächtig werden. „Es … ist in Dodo …“
    „Was ist in mir?“, frage ich und massiere meinen Oberarm. „Wovon sprechen Sie?“
    „Ein Geheimnis … und eine Entscheidung.“ Er schaut auf. „Beides zu groß, als dass es in dir bleiben könnte. Die Konsequenzen wären nicht abzusehen.“
    Erschöpft legt er seinen Kopf auf die Hände.
    „Das heißt, Sie lassen uns über die Grenze?“, fragt Lilly.
    Sein Nicken ist nur zu erahnen.
    „Dann geben Sie uns die Kombination“, sage ich. „Wir brauchen nur die Kombination.“
    „Nein, braucht ihr nicht“, entgegnet Kuckuck Rosenzopf schwach.
    „Aber die Tür ist verschlossen“, sagt Lilly.
    „Nur für die, die sie nicht passieren können.“
    Ich verstehe nicht, was das bedeuten soll, aber Lilly sagt: „Versuch‘s noch mal, Dodo!“
    Ich schaue sie fragend.
    „Die Tür, Dodo! Versuch noch mal, Sie zu öffnen.“
    Dieses Mal schwingt sie mit einem hellen Quietschen auf.

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