Von Lichtwiese nach Dunkelstadt
herumzukauen.
„Klar“, lächelt Agerian.
Und ich denke: Dodo, worauf wartest du eigentlich? Und dann knie ich mich ans Ufer und stecke einfach meinen Kopf in den Teich. Ich höre Lilly noch ein abgehaktes „Dodo, ni-“ rufen, bevor Birkenwasser in meine Ohren gluckert. Ich trinke und trinke und trinke. Als ich wieder auftauche, schreit Lilly noch immer. Oder schon wieder. Ich sehe ihr Spiegelbild über meiner Schulter.
„Dodo, bist du denn völlig bescheuert? Warum hast du das gemacht?“
Neben ihr steht Agerian. Sein Gesicht ist auf einmal fast genauso weiß wie sein Gewand. „Das hättest du besser nicht gemacht …“
Ich lächele und denke: So ein Angsthase!
Mein Spiegelbild verändert sich. Mein Kopf wird länger, meine Wangen schmaler. Die Sommersprossen verschwinden, ein dichter Bart sprießt.
„Es funktioniert“, blubbert mein Mund. „Lilly, es funktioniert.“
„Ich hole Hilfe“, sagt Agerian und ich denke: Endlich haut der Angeber ab.
Meine Stirn wächst und um die Augen herum bilden sich Falten. Lachfalten, denke ich und frage mich, woher ich das Wort kenne.
„Wer bist du?“, frage ich.
„Ich bin du, Dodo“, antwortet mein Spiegelbild. Seine Stimme ist viel dunkler und rauer als meine.
„Woher kennst du mich?“, frage ich.
„Weil wir uns nicht zum ersten Mal sehen. Aber das kannst du noch nicht wissen.“
Mein Spiegelbild sieht alt aus. Ich sehe alt aus. Sehr alt sogar. Noch älter als Lillys Vater und der ist schon 42.
„Dodo, mit wem redest du da?“, fragt Lilly hinter mir.
„Du hast sicherlich eine Menge Fragen“, sagt mein Spiegelbild.
„Ich hab nur eine einzige“, sage ich.
„Okaykay. Ich werde sie beantworten, wenn ich es kann.“
Mir wird schwindelig und einen schrecklichen Augenblick lang bin ich mir sicher, meinen Mund nie mehr öffnen zu können, doch dann sage ich schon: „Wer sind meine Eltern?“
Mein Spiegelbild kneift die Augen zusammen. „Ja … das ist eine gute Frage …“
„Kannst du sie mir beantworten?“
„Ja. Aber zuerst möchte ich, dass du etwas weißt. Deine Mutter wollte immer nur das Beste für dich. Sie will dich beschützen.“
„Wovor?“
„Vor deinem Vater. Und vor dem, für das er steht.“ Mein Spiegelbild macht eine Pause. „Wahrscheinlich verstehst du kein Wort, von dem, was ich sage, aber du wirst es verstehen, wenn du älter bist.“
Ich fühle mich wie auf einem Karussell. Als würde ich mich die ganze Zeit im Kreis drehen. „Wer sind meine Eltern?“
„Dein Vater ist der Chef.“
„Der Chef?“
„Er heißt so, weil er der Chef von allem ist.“
„Und meine Mutter?“
„Deine Mutter ist Tante Hablieblieb.“
„Tante Hablieblieb …“ Ich rutsche nach vorne und plötzlich schwimmen Ringe über den Teich. „Aber warum will sie, dass ich sie Tante nenne?“
„Damit sie trotzdem in deiner Nähe sein kann.“
„Aber warum … warum will sie nicht meine Mutter sein?“
„Sie kann nicht. Der Chef wüsste sonst, dass du sein Sohn bist. Doch das ist noch nicht alles, Dodo. Deine Mutter und dein Vater sind unsterblich. Und deshalb bist du es auch.“
„Ich verstehe das alles nicht“, flüstere ich, und kleine Tropfen fallen auf mein Spiegelbild.
„Du wirst es, wenn du älter bist“, sagt mein Spiegelbild wieder, doch das hilft mir jetzt auch nicht weiter. „Du wunderst dich sicherlich, warum deine Mutter mit dem Chef überhaupt zusammen war, wenn er doch so böse ist. Weil auch starke Frauen manchmal schwache Momente haben. Außerdem gibt es nicht wenige, die der Meinung sind, dass der Chef – so böse und verkommen er auch ist – das gewisse Etwas hat.“
Das gewisse Etwas, denke ich und sage: „Ich verstehe das alles nicht.“
„Das kommt noch“, versichert mir mein Spiegelbild. „Später. War bei mir ja genauso.“ Es schaut auf die Uhr. „Ich muss jetzt wirklich los.“
„Geh noch nicht!“
„Ich muss. Tante Hablieblieb wird jeden Moment kommen und dich in das Dorf zwischen den Spargelfeldern bringen.“
„Sie bringt mich weg aus Lichtwiese? Aber warum?“
„Weil du nun weißt, wer dein Vater ist. Und solange dieses Wissen in deinem Kopf ist, wird der Chef versuchen, es dort herauszuholen. Der hat alle möglichen Apparate für so was. Die V2-Box zum Beispiel, obwohl die eigentlich ziemlich nutzlos ist.“ Mein Spiegelbild lächelt. „Mach dir keine Sorgen, kleiner Dodo. Alles wird gutgut. Und schau dir noch den Abspann an. Das könnte später mal wichtig werden.“
Mein
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