Von Lichtwiese nach Dunkelstadt
In die vertraute Mischung aus Blumen, Wiese und Morgentau hatte sich etwas Scharfes, etwas Beißendes geschlichen.
„Es riecht nach … Rauch“, stellte ich fest.
„Nach Rauch?“
Ich schnupperte noch einmal. „Oder nach Abgasen.“
„Aber das tut es doch überall bei euch Menschen.“
„Bei uns im Dorf eigentlich nicht ...“ Meine Verwirrung wuchs mit jedem Atemzug.
„Bestimmt sind das die Nachwehen vom Holo-Raum“, sagte Strom-Tom. „Du hast so lange nichts gerochen – kein Wunder, dass deine Wahrnehmung jetzt etwas verrücktspielt.“
„Ja …“, sagte ich ohne Überzeugung. „Vielleicht hast du recht.“
Ich stieg die vier Stufen zur Terrasse hinauf. Die Tür stand offen.
„Omi?“, rief ich ins dunkle Wohnzimmer.
Keine Antwort.
Ich ging hinein. „Omi!“
„Vielleicht ist sie einkaufen“, vermutete Strom-Tom.
„Es ist sechs Uhr morgens“, entgegnete ich mit einem Blick auf die Standuhr im großen Flur. „Bestimmt schläft sie noch.“
Ich wollte nach oben gehen, doch im kleinen Flur stellte sich mir plötzlich ein Mann in den Weg. „Halt! Stehen bleiben!“ Er trug eine schwarze, schlichte Uniform und einen ebenfalls schwarzen Helm. Seine Haut glänzte, und seine Gesichtszüge waren so starr, als wären sie aus Plastik. „Wieso sind Sie nicht bei den anderen?“
„Wer sind Sie?“, fragte ich und wusste nicht recht, ob ich auf mein Gegenüber bedrohlich zugehen oder lieber ängstlich vor ihm zurückweichen sollte. „Was wollen Sie hier?“
„Was wollen Sie hier?“, fragte das Plastikgesicht seinerseits und kam einen Schritt auf mich zu. „Warum sind Sie nicht gemeldet?“
„Aber ich bin hier gemeldet!“ Es musste sich um mein Missverständnis handeln.
„Sie brauchen eine Sondergenehmigung, um sich hier aufhalten zu dürfen!“
„Ich wohne hier“, entgegnete ich mit aufkeimender Hilflosigkeit.
„Niemand darf hier wohnen!“, wischte der Soldat meinen Einwand hinweg. „Das ist Sperrzone. Und jetzt kommen Sie mit!“ Sein Gesicht blieb maskenhaft. Dafür trat er einen weiteren Schritt auf mich zu und legte seine Hand auf den schwarz glänzenden Knüppel, der von seinem Gürtel herabhing.
„Ich gehe nirgendwo hin!“, protestierte ich, ging zwei Schritte zurück, um den ursprünglichen Abstand wiederherzustellen und stieß gegen die Kommode. „Was ist hier eigentlich los? Ich kenne meine Rechte! Sie können hier nicht einfach so einbrechen!“ Ich tastete nach dem Telefon, fand den Hörer und hielt ihn demonstrativ in die Höhe. „Ich rufe jetzt die Polizei!“
Der Soldat lachte, ohne eine Miene zu verziehen. „Wen wollen Sie denn da anrufen? Es gibt keine Polizei mehr!“
Ich hielt den Hörer weiterhin auf Ohrhöhe. „Was?“
„Entweder Sie kommen freiwillig mit, oder ich lasse Sie abführen!“ Mit einem Klicken löste sich der Knüppel vom Gürtel.
Das Geräusch befreite mich aus meiner Schreckstarre. Ich ließ den Hörer fallen – er würde mir gegen den Knüppel des Soldaten ohnehin nicht helfen – und ging rückwärts zurück in Richtung Wohnzimmer. „Wer sind Sie denn überhaupt?“, versuchte ich Zeit zu gewinnen.
„Ich bin Soldat 5/736. Berechtigter Zone-Drei-Aufklärer nach Paragraph 07/15“, ratterte mein Verfolger hinunter.
„Also sind Sie von der Armee?
„Ist das Ihre Antwort, Arbeiter?“
Ich stolperte über die Kante des Wohnzimmerteppichs und plumpste neben den Sessel.
Sofort war das Plastikgesicht über mir. „Ich frage Sie zum letzten Mal: Kommen Sie freiwillig mit oder ersuchen Sie Gewalt?“ Bedrohlich hob sich die Knüppelspitze über die Schulter des Soldaten.
„Schon gut, schon gut“, stammelte ich schnell. „Ich komme freiwillig mit.“
Der Soldat nahm seinen Knüppel wieder runter und trat zur Seite, so dass ich aufstehen konnte.
„Gehen Sie vor“, sagte ich, nachdem ich meine Hose abgeklopft hatte. „Ich kenne den Weg ja nicht.“
„Aber keine Tricks!“ Das Plastikgesicht starrte mich einen Moment lang eindringlich an, als versuche es, meine Gedanken zu lesen. Dann drehte es sich um und ging den großen Flur hinunter, aus dem es mich zuvor herausgetrieben hatte.
„Was machen wir jetzt?“, flüsterte Strom-Tom in meinem Bauch. „Wir müssen was unternehmen! Wer weiß, wo der Kerl uns hinbringt!“
Gefahr!
Strom-Tom hatte recht, nur was sollte ich tun? Panisch sah ich mich nach einer Fluchtmöglichkeit um. Das Ende des kleinen Flurs und somit auch die Haustür rückten mit jedem Schritt näher.
Weitere Kostenlose Bücher