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Von Lichtwiese nach Dunkelstadt

Von Lichtwiese nach Dunkelstadt

Titel: Von Lichtwiese nach Dunkelstadt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ivar Leon Menger , John Beckmann
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…“
    „Ich verstehe kein Wort von dem, was du erzählst, mein Freund.“
    Ich nickte und wischte mir übers Gesicht. „Ja. … Ist ‚ne lange Geschichte …“
    „Wir haben auch noch ein ganzes Stück vor uns“, entgegnete Agerian.
    Also atmete ich tief ein und erzählte ihm, was passiert war. Es war anstrengend, weil mir die Luft zum Klettern fehlte, doch es tat gut, sich zu erinnern. Anfangs stellte Agerian noch viele Fragen, doch je länger meine Erzählung andauerte, desto stiller wurde er. Schließlich beschränkte er sich darauf, zuzuhören und gelegentlich zu nicken. Als wir den Fuß der Treppe erreicht hatten, endete auch meine Geschichte.
    „Ich hoffe, ich hab dich nicht zu sehr gelangweilt“, sagte ich und unternahm den hoffnungslosen Versuch, es wie einen Scherz klingen zu lassen.
    Agerian schüttelte den Kopf. Er wirkte auf einmal sehr nachdenklich. „Ich werde dir helfen, Dodo. Wir retten Elenor und danach holen wir den rot-gelb gestreiften Löffel zurück.“
    „Meinst du das ernst?“
    Er sah mich an. „Das ist das Mindestes, was ich tun kann.“
    „Danke. Ich kann jede Hilfe gebrauchen.“
    Schweigend marschierten wir durch die felsige Einöde. Je näher wir San Platino kamen, desto mehr verdichtete sich der Eindruck, die Stadt sei direkt dem Mittelalter entsprungen. Eine hohe Mauer umgab die spitzdachigen Häuser. Mächtige Türme stießen mit wehenden Fahnen in den Himmel. Ich fragte mich, woher der Wind kam. Oder das Licht.
    „Wir sollten vorsichtig sein“, sagte Agerian. „Je weniger Aufmerksamkeit wir erregen, desto besser.“
    „Ist es hier gefährlich?“
    Ein breiter Graben umfasste die mit Schießscharten versehende Burgmauer. Am Tor standen zwei Gestalten mit langen Speeren. Ihrer Kleidung nach zu urteilen gehörten sie der Stadtwache an.
    Ich schaute zur Seite. Agerian sah aus, als hätte er sich auf die Zunge gebissen.
    „Es ranken sich viele Sagen um die Stadt unter der Erde“, sagte er.
    Wir hatten die Zugbrücke beinahe erreicht, als meine Füße plötzlich nicht mehr weiter wollten.
    Agerian drehte sich zu mir um und zischte: „Dodo, was hast du?“
    Mein Verstand brauchte einen Augenblick länger, um zu verstehen. „Ihre Gesichter!“ Ich starrte an Agerian vorbei zu den beiden Wachen. „Ihre Gesichter glänzen silbern. Als wären sie aus Metall!“
    „Es sind Roboter“, entgegnete Agerian ruhig. „Alle Bewohner von San Platino sind Roboter. Vielleicht hätte ich dir das vorher sagen sollen.“
    Ich wischte mir den Schweiß von der Stirn. „Ja, vielleicht. Können wir nicht einfach außen herum gehen?“
    „Der einzige Weg zurück an die Oberfläche führt durch San Platino.“ Er zog an meiner Schulter. „Verhalt dich einfach ganz normal. Dann wird dir nichts passieren.“
    Unsere Schritte polterten laut auf der Zugbrücke. Ich verhielt mich so normal, dass ich ins Stolpern geriet. Die Roboter-Köpfe folgten uns mit einem Surren. Ich konnte nicht anders, als mich nach ihnen umzusehen. Als wir das Tor passierten, setzten sich auch ihre Körper in Bewegung. Hohe Fachwerkhäuser streckten sich vor uns in den grauen Himmel. Ihre Fassaden standen einander so dicht gegenüber, dass die windschiefen Dächer sich fast berührten. Überall in den schattigen Gassen piepte, quietschte und knisterte es unter den groben Stoffen. Alle Blicke schienen uns zu folgen. Die Menge um uns herum wurde dichter, die Geräusche leiser. Ich starrte auf meine Schuhe und flüsterte: „Fällt ziemlich schwer, hier nicht aufzufallen, wenn man keine Platine im Kopf hat.“
    Agerian zeigte auf einen schmalen Hofeingang. „Da hinein! Schnell!“
    Doch es war zu spät. Die Blechlawine spülte einen Roboter von der Größe eines Getränkeautomaten vor unsere Füße.
    „Willkommen in San Platino“, krächzte er, während er sich mit der einen Hand seinen gelben Federhut keck ins Gesicht schob und mit der anderen seinen grün-weißen Waffenrock richtete. „Ich bin die Touristik-Einheit 205. Wo wünschen Sie zu nächtigen?“
    „Wir sind nur auf der Durchreise“, entgegnete Agerian.
    „Sie sind müde“, stellte die Touristik-Einheit fest. „Wünschen Sie ein Hotel für eine oder mehrere Nächte?“
    Es war jetzt sehr still. Der Rest der Stadt war zum Stillstand gekommen.
    „Wir wissen Ihre Gastfreundschaft sehr zu schätzen …“, setzte Agerian an.
    „Wie viele Übernachtungen beträgt Ihr geplanter Aufenthalt?“, unterbrach ihn die Touristik-Einheit mit erhöhter Lautstärke.

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