Von Lichtwiese nach Dunkelstadt
alles bei mir behalten zu können, war die beruhigende Sakkowand vor mir verschwunden. Gio-Gio war nirgends zu sehen, obwohl das aufgrund seiner Abmessungen beinahe unmöglich erschien.
Agerian stolperte an mir vorbei, die Handflächen wie Scheuklappen an seinen Kopf gelegt. Anscheinend setzte ihm die eigenwillige Inneneinrichtung genauso zu wie mir.
„Agerian!“ Ich schrie fast, obwohl es gar nicht so laut war, aber die Farben dröhnten sogar in meinen Ohren. Er hörte mich trotzdem nicht.
Dafür legte sich eine pfannengroße Hand in meinen Nacken.
„Bieberdamm“, nuschelte Gio-Gio. Vielleicht war es auch: „Hier entlang.“ Auf jeden Fall schob er mich durch eine große Doppelschwingtür.
Im Gegensatz zum Foyer wirkten die Spielräume beruhigend altmodisch. Nur die von der Decke hängenden Spieltische und die dazu passenden drei Meter hohen Hocker stachen etwas hervor.
Elenors Euphorie tat das jedoch keinen Abbruch. „Das ist ja unglaublich!“, rief sie und war kurz darauf zwischen den Hockerbeinen verschwunden.
„Was wollt ihr spielen?“, fragte Gio-Gio und verdoppelte damit die Anzahl der Wörter, die er bislang an uns gerichtet hatte.
„Ich weiß nicht“, antwortete ich wahrheitsgemäß und wartete darauf, dass das Karussell in meinem Kopf seine Fahrt beendet hatte.
„Rouletten-Wetten?“, fragte Gio-Gio und zeigte zu den Hänge-Tischen hinauf.
Ich schüttelte den Kopf und fragte mich, wie die Menschen auf ihre Hocker gelangt waren.
„Dann vielleicht Polka-Poker?“ Gio-Gio wurde richtig redselig und war jetzt auch besser zu verstehen, was bestimmt unter anderem damit zusammenhing, dass die Farben verschwunden waren. „Oder ‚ne kleine Partie Todeswürfel?“
„Das ganz bestimmt nicht“, sagte Agerian.
„Ist nicht gefährlich. Guckt‘s euch mal an.“
Gio-Gio zeigte auf eine Gruppe eng zusammenstehender Rücken, deren Besitzer unablässig Farben schrien. Als die Körper für einen Moment auseinanderrückten, um einen neuen Spieler in ihre Mitte zu lassen, erkannte ich einen kleinen Tisch, auf dem ein einzelner Gegenstand lag: ein bunter Würfel, der wiederum aus vielen kleinen Würfeln bestand.
„Das ist ein Zauberwürfel!“, stellte ich zu meinem eigenen Erstaunen fest. „So einen hatte ich auch mal.“
„Todeswürfel“, verbesserte mich Gio-Gio. „Willst du spielen?“
Es sah so einfach aus, so ungefährlich. Doch Omi sagte immer, dass der erste Eindruck leicht täuschen kann. Außerdem stieß mich Agerian wie beiläufig an und schüttelte leicht den Kopf.
„Gibt es hier nicht irgendwo ein paar Glücksspielautomaten?“, fragte ich.
„Du stehst also auf Automaten“, nuschelte Gio-Gio, als wäre er darauf ganz alleine gekommen. Sein halsloser Kopf versuchte sich an einem anerkennenden Nicken. „Was hältst du von ‚ner Runde Einarmiger Bandit?“
„Das kenne ich“, sagte ich. „Das klingt gut.“
„Ist unten“, plumpste es träge über Gio-Gios Lippen. „Im Keller.“ Er wirkte jetzt beinahe freundlich.
Wir gingen durch den Spielraum und steuerten auf eine unscheinbare Metalltür zu. Die Betonwände dahinter waren wunderbar karg und ruhig. Plötzlich war auch Elenor wieder da. Sie wirkte noch aufgedrehter als sonst.
„Geht‘s los?“, fragte sie wieder und wieder. „Geht es jetzt los?“
Keiner wusste genau, wovon sie sprach, also antwortete auch niemand.
„‚Ne Runde Einarmiger Bandit kostet 500 Voltadollar“, erklärte Gio-Gio, während er sich vor uns durch das schmale Treppenhaus quetschte.
In Gedanken teilte ich den Inhalt des Geldbeutels durch den Einsatz. „Das ist aber ganz schön viel für ein Automatenspiel. Oder nicht?“
„Der Hauptgewinn sind 10.000 Voltas“, ächzte Gio-Gio anstelle einer Antwort.
„10.000 Voltas?“, rief Elenor, schlang ihre Arme um meinen Hals und küsste mich auf die Wange. Mir wurde augenblicklich sehr warm. „Dodo, du musst gewinnen! Hörst du? Gewinn für mich!“
„Ich versuch‘s“, sagte ich und wischte mir über die Stirn. „Vielleicht hab ich ja Glück.“
„Für Einarmiger Bandit braucht man mehr als nur Glück“, hustete Gio-Gio. Es klang fast wie ein Lachen.
Die Stufen endeten in einem schmalen Gang. Elenor löste sich von mir und begann, Gio-Gio über die anderen Preise auszufragen.
Agerian bedeutete mir, mich ein Stück zurückfallen zu lassen und flüsterte dann: „Mir gefällt das nicht, Dodo.“
„Die 500 Voltas?“, fragte ich. „Die haben wir doch sowieso
Weitere Kostenlose Bücher