Von Liebe und Gift
selbst kümmern, Neal … Sie sehen schlecht aus, verdammt schlecht.“
Sie drehte sich um, und Neal blieb mit gesenktem Blick zurück.
„Na, wie geht es dir heute?“, fragte Francis. Sie setzte sich zu Gero ans Bett. Er war noch immer blass, und sein Gesicht war gezeichnet von einer großen Traurigkeit.
„Es geht so“, sagte er mit gedämpfter Stimme. Behutsam strich sie über sein Haar, sah ihn besorgt an.
„Heute hast du noch Schonzeit“, sagte sie währenddessen, „aber morgen gehe ich mit dir raus in den Stationsgarten. Du musst unbedingt an die frische Luft.“
Gero nickte still, versuchte zu lächeln. Dann ging die Tür auf, und Thilo sah herein.
„Die wollten mich nicht reinlassen“, berichtete er aufgeregt. „Die meinten, mein Outfit sei nicht passend für die Patienten hier.“ Er deutete auf seine mit Nieten besetzte Lederkluft. Francis lachte, und auch Geros Lächeln wurde mutiger.
Thilo nahm sich einen Stuhl und setzte sich ebenfalls zu Gero ans Bett, klopfte ihm auf die Schulter. „Na, du Held, alles klar? Ich möchte, dass du hier schnell wieder rauskommst … Es ist unheimlich öde in der WG alleine.“
„Ich werde es versuchen“, sagte Gero. Seit dem Vorfall wirkte er noch schüchterner und in sich gekehrter als sonst. Zudem fiel Francis auf, dass auch er in den letzten Wochen abgenommen hatte. Wieso hatte sie seine Verfassung nicht ernster genommen?
„Helfen dir die Gespräche mit den Therapeuten?“, fragte sie vorsichtig, in der Hoffnung, Gero würde dieser Klinikaufenthalt tatsächlich gut tun. Und wirklich: Gero nickte.
„Die geben sich hier große Mühe“, erklärte er. „Alle sind freundlich, auch die Schwestern …“ Sein Blick wurde plötzlich ganz ernst. „Durch diese Gespräche wird mir allmählich einiges bewusst.“ Er griff sich an den Kopf. „Ich weiß gar nicht, wie ich so blauäugig durch die Welt rennen konnte. Wenn ich bedenke, was Neal alles mit mir gemacht hat. – Und ich habe alles ertragen, alles toleriert …“
Er schüttelte den Kopf.
„Ich war so blind vor Liebe, so naiv …“
Er sah nach unten, lehnte sich an Francis’ Schulter.
„Warum habt ihr mich nicht gewarnt? Ihr hättet doch sehen müssen, was Neal mit mir macht …“
Bei dieser Äußerung sahen sich Francis und Thilo ungläubig an, bis Francis sich wieder äußerte: „Wir haben dich gewarnt, mehr als einmal“, erinnerte sie. „Du wolltest es nur nicht hören.“ Sie drückte Gero an sich. Was hätte ihnen bloß alles erspart bleiben können? Trotzdem atmete Francis auf. „Aber es ist gut, dass du endlich eingesehen hast, dass es so nicht weitergehen kann. Das muss ein Ende haben.“
Gero stimmte dem zu, und seine folgenden Worte kamen ganz gewissenhaft über seine Lippen.
„Ich will auch nicht mehr. Ich kann nicht mehr. Neal ist für mich gestorben. Ich kann nicht mehr mit ihm zusammen sein. Es geht einfach nicht mehr.“
Nahezu apathisch lag Neal bei Francis auf dem Sofa. In der einen Hand eine Zigarette, in der anderen sein Handy.
„Kannst du dir vorstellen, wie ich mich fühle? – Da schlitzt er sich die Handgelenke auf, ohne Vorwarnung, und nun lassen die mich nicht mal zu ihm.“
Er schloss die Augen, konnte wirklich nicht begreifen, was momentan in seinem Leben vor sich ging. Sam war der Einzige, dem er sich noch offen anvertrauen konnte.
Er hörte, wie die Wohnungstür aufgeschlossen wurde. Da richtete er sich sofort auf.
„Du, ich muss Schluss machen … Wir sehen uns heute Abend, bye!“
Er schaltete sein Handy aus und eilte in den Flur.
„Und? Was macht er? Wie geht es ihm? Hat er nach mir gefragt? Vermisst er mich?“
Fragend blickte er seine Schwester an, die ihren Mantel ablegte und dann Thilo, der ebenfalls im Flur stand, hilfesuchend ansah.
„Sag es ihm“, kam es aus Thilo heraus, und es klang mehr als ernst.
Sofort bekam es Neal mit der Angst zu tun. „Es geht ihm doch nicht schlechter, oder?“
Zu seiner Erleichterung schüttelte Francis den Kopf.
„Nein, es geht ihm eigentlich ganz gut.“
Neal atmete auf, und es schlich sich sogar ein Lächeln auf sein hageres Gesicht.
„Und?“, fragte er demzufolge mutiger. „Wann kann ich ihn endlich besuchen?“
Eine bedrückende Stille stellte sich ein, in der Francis andächtig die Hände faltete. Es war unschwer zu erkennen, dass sie nachdachte, was als nächstes zu sagen war. Es fiel ihr verdammt schwer, als sie mit der Neuigkeit herausrückte.
„Ich glaube, wir
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