Von Liebe und Gift
In dem Schwarz wurden allmählich weiße Punkte sichtbar, dann wurde alles grau. Neal öffnete die Augen und sah an die Decke.
„Na, jemand wieder zu Hause?“, hörte er Thilos Stimme von weitem. Neal drehte sich um. Er lag im Wohnzimmer der WG auf dem Sofa. Thilo blickte ihn besorgt an.
„Geht’s wieder?“
„Mmh, weiß nicht“, stammelte Neal. Er überlegte und griff sich an den Kopf, der etwas schmerzte. Aber irgendwie schmerzte auch sein ganzer Körper.
„Du bist gegen die Kommode geknallt“, berichtete Thilo, woraufhin Neal sich aufsetzte.
„Was ist denn bloß passiert?“, fragte er perplex. Dankbar nahm er das Glas Wasser und eine Aspirin von Thilo entgegen, und der erzählte weiter:
„Du bist umgefallen, nachdem sie Gero weggebracht haben … Kannst du dich nicht mehr erinnern?“ Prüfend sah er sein Gegenüber an, der sich anscheinend wirklich nicht mehr an Einzelheiten entsinnen konnte. „Francis ist ausgerastet, du bist umgekippt … Ich dachte, ich bin im Irrenhaus.“
„Oh, Gero“, sprach Neal leise. Die Erinnerungen kamen langsam wieder. „Was ist mit ihm?“
„Er ist im Krankenhaus“, berichtete Thilo. „Er ist über den Berg. Sie haben ihm Blutkonserven gegeben. Die Schnitte an den Handgelenken mussten genäht werden, und nun braucht er erstmal Ruhe.“
Neal nickte, doch irgendwie fühlte er sich ganz flau. Er sah sich um. Es war schon dunkel draußen.
„Wie lange liege ich hier schon?“
„Ein paar Stunden …“, sagte Thilo. „Du hattest ja auch ordentlich einen gebechert, bevor das geschah …“
Neal fuhr sich über die Augen. Ja, nun konnte er sich erinnern … Der Kuchen, der Whiskey, die Pillen … das Blut. Langsam kam er auf die Beine. Sein Gang war wackelig, aber sein Weg führte ihn zielstrebig in das kleine Bad in Geros Zimmer. Dort angekommen sah er Francis, die auf dem Boden kniete und die Fliesen reinigte. Ihr Gesicht war tränenüberströmt.
„Liebes, was machst du da?“, fragte Neal fassungslos. „Das kann doch die Putzfrau machen.“
Da sah Francis auf. Ihre Augen blitzten vor Zorn.
„Ach, und wann kommt die?“, fluchte sie. „Übermorgen? Soll das Blut hier festkleben, bis es nicht mehr abgeht? Wie stellst du dir das vor?“
Neal sah betroffen zu Boden, und es war Thilo, der die Situation zu schlichten versuchte.
„Francis, steh bitte auf“, sagte er. „Du solltest in deinem Zustand nicht den Boden wischen. Das geht wirklich nicht.“ Er half Francis auf die Beine, jedoch war die noch lange nicht fertig mit ihren Vorwürfen.
„Du bist zu weit gegangen!“, fuhr sie Neal an. „Es musste ja so kommen!“, fügte sie hinzu. „Du ruinierst nicht nur dich, sondern uns alle!“
„Bitte, beruhige dich!“, bat Thilo. Er drückte Francis an sich. „Du kannst Neal nicht allein dafür verantwortlich machen. Wir sind auch nicht schuldlos. Wir hätten merken müssen, was mit Gero los ist.“
Aber Francis schüttelte den Kopf. Sie war sich sicher. „Das wäre alles nicht passiert, hätte Neal nicht diese verdammten Drogen genommen!“, schrie sie. Und bevor sie sich von Thilo aus dem Bad leiten ließ, sah sie ihren Bruder noch einmal finster an. „Du bist so ein Schwein! Ein verdammtes Schwein!“
Sie löste sich, strich Thilo dankbar über die Wange und verließ dann alleine die WG.
Neal konnte sich erst wieder rühren, als er die Wohnungstür zuklappen hörte. Dann ging er in die Knie und griff nach dem Putzlappen. Doch schon nach kurzer Zeit unterbrach er seine Reinigungsarbeit. „Es klebt überall“, stellte er fest, als er die blutigen Spuren rings herum betrachtete. „An meinen Händen, meiner Hose, in jeder Ritze der Kacheln …“
Er warf den Lappen in den Putzeimer und hielt sich die Hände vor die Augen. Sein Leib zitterte. Er begann zu weinen, konnte das sein?
XI.
Neal hatte respektiert, dass Gero nach dem Zwischenfall erst einmal Ruhe benötigte. Und so kam er am nächsten Tag nicht mit ins Krankenhaus, sondern wartete, bis Francis Neuigkeiten brachte.
Der Aschenbecher quoll fast über, als Neal erleichtert hörte, wie Francis wieder nach Hause kam.
„Endlich!“, atmete Neal auf. „Ich warte schon so lange“, gestand er. „Was ist mit Gero? Wie geht es ihm?“
Francis nickte still, während sie ihren Mantel an die Garderobe hängte. Zufrieden sah sie ins Kinderzimmer, in dem ihr Sohn spielte. Sie hatten Nicholas nicht erzählt, warum Gero eigentlich in die Klinik musste. Sie
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