Von Liebe und Gift
Zugang an seinem linken Arm tropften Infusionen.
Auf seiner Stirn glänzten ein paar Schweißperlen. Francis war die erste, die sich äußerte.
„Was soll dieser Schlauch vor seiner Nase?“
„Er bekommt Sauerstoff“, erklärte Gero. „Wahrscheinlich ist sein Sauerstoffgehalt gesunken durch eine niedrige Atemfrequenz.“ Er sah flüchtig auf den Monitor, dann griff er nach Neals Hand.
Francis, die noch immer ganz blass war, setzte sich auf einen Stuhl, neben das Bett. Sie hielt sich den Bauch, als würde sie unter heftiger Übelkeit leiden.
„Wieso ist er denn nicht wach?“, fragte sie besorgt. Die Unsicherheit und Angst war ihr deutlich ins Gesicht geschrieben.
„Ich denke, die Medikamente, die er genommen hat, machen ihn noch müde“, erwiderte Gero. Er seufzte. „Wahrscheinlich möchten sie auch nicht, dass er die Entgiftung mitbekommt. Vielleicht würde ihn das nur aufregen.“ Er machte eine längere Pause, in der er seine Worte suchte, sie dann aber klar und unverrückbar darstellte. „Ich glaube mittlerweile, er hat nie wirklich versucht von dem Kokain loszukommen. Er war sicher schon viel zu abhängig davon.“ Fragend sah er Francis an. „Wieso haben wir das nicht früher gemerkt?“
Francis zuckte verzweifelt mit den Schultern. Sie wischte sich noch einmal über die Augen, gab dem bewusstlosen Neal einen Kuss. „Vielleicht wollten wir es einfach nicht wahrhaben.“
Sie nahm ihre Handtasche und stand auf.
„Ich kann das nicht länger mit ansehen“, gab sie von sich. „Außerdem muss ich mich um Nicholas kümmern.“
Gero nickte verständnisvoll. „Ich bleibe noch hier - vielleicht die ganze Nacht.“
„Herr Steinert?“
Gero schreckte hoch. Tatsächlich hatte er die ganze Nacht am Krankenbett gewacht, hatte immer ein Auge auf Neal geworfen, hatte den Monitor beobachtet und alles, was mit Neal vorging genau verfolgt. Doch irgendwann war er erschöpft eingeschlafen. Jetzt spürte er seine Schulter, die von der unbequemen Haltung auf dem Stuhl, schmerzte.
„Möchten Sie einen Kaffee trinken?“, fragte die Intensivschwester höflich. Sie lächelte. Eine derart innige Bindung zwischen zwei Männern hatte sie selten erlebt.
Gero nickte bescheiden. „Das ist nett.“ Sein nächster Blick wanderte wieder zu Neal. „Er sieht kein Stück besser aus als gestern“, stellte er traurig fest. „Wird er nichts zu essen bekommen? Sie müssen ihm doch wenigstens eine Magensonde legen oder so, wenn er nicht wach ist.“
Die Schwester reichte Gero eine Tasse heißen Kaffee an.
„Er wird erstmal weiter Infusionen von uns erhalten“, erklärte sie. Aber bevor sie weitersprechen konnte, wurden Geros Augen ganz weit.
„Er blinzelt ja mit den Augen!“, schoss es aus ihm hervor. Hektisch stellte er den Kaffee ab, dann setzte er sich zu Neal auf die Bettkante. „Ich glaube, er wird wach …“
Auch die Schwester sah Neals Bewegungen und handelte sofort. „Ich sage dem Arzt Bescheid.“ Sie verschwand aus dem Zimmer.
Gero dagegen nutzte die Zeit, um mit Neal zu sprechen, denn der öffnete langsam die Augen.
„Where am I? “
Gero strich ihm behutsam über das schmale Gesicht.
„Du bist im Krankenhaus“, erklärte er, woraufhin Neal sofort die Augen verdrehte.
„Schon wieder?“ Seine Stimme war schwach. Im nächsten Moment schlossen sich seine Lider erneut. Aber als er Geros Hand auf seiner spürte, schlich sich ein Lächeln auf seine Lippen.
„Wie fühlst du dich denn?“, wollte Gero wissen. Er hörte nicht auf, seinen Freund prüfend zu beobachten.
„Tired“, antwortete Neal. „So tired.“
Gero nickte. „Die geben dir hier Medikamente, damit du alles ruhig überstehst.“
Da runzelte Neal plötzlich die Stirn. Angestrengt öffnete er die Augen.
„Was - alles?“
Gero seufzte. Er hatte geahnt, dass Neal Fragen stellen würde, und doch konnte er nicht begreifen, dass sich Neal nicht mehr wirklich erinnern konnte.
„Du hast zu viele Tabletten eingenommen“, erklärte er. „Weißt du das denn nicht mehr?“ Er löcherte seinen Freund mit großen Augen, wartete aber nicht wirklich eine Antwort ab. „Und Heroin hast du gespritzt.“ Seine Stimme senkte sich zu einem Flüstern, als sollte es niemand mitbekommen. „Wieso hast du das getan? Wieso?“
Neal schüttelte nur mit dem Kopf. Er fasste sich an den Sauerstoffschlauch vor seiner Nase und nahm ihn ab. Er wandte sich ein wenig im Bett, als würde er unbequem liegen, dann sank er zurück ins Kopfkissen.
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