Von Liebe und Gift
„Ich weiß nicht …“
Das war für Gero keine klare Aussage. Er griff erneut nach Neals schwacher Hand und drückte sie fest. „Du hättest uns doch sagen können, dass es dir nicht gut geht. Das wäre kein Thema gewesen.“ Er senkte betrübt den Kopf. „Aber Drogen sind doch keine Lösung.“ Er machte eine Pause. Unmöglich wollte er seinem Freund Vorwürfe machen. „Na ja, die helfen dir hier jetzt. Du wirst sehen, bald ist alles wie früher.“ Er versuchte ein Lächeln.
„Ja, wie früher“, sprach Neal. Er schloss die Augen und schien in einen Tagtraum zu fallen. „Es muss ein Ende haben mit dem Scheiß hier … Es soll werden wie früher.“ Und obwohl es ihn sichtbar anstrengte, versuchte er weiterzusprechen. „Ich werde uns ein Haus kaufen, weit weg von hier. Ein Haus für uns und die Kinder. Ein Haus auf dem Land. Ganz weit weg …“
2. Teil
I.
Besonders Nicholas strahlte über das ganze Gesicht, als Neal aus der Klinik entlassen wurde.
„Du musst dir gleich meine gemalten Bilder ansehen, Papi! Und dann spielen wir … und heute Abend musst du mir eine Geschichte vorlesen, ja?“ Der kleine Junge zog seinen Vater kräftig an der Hand, so dass jener richtig Mühe hatte die Treppen hinaufzufolgen.
„Lass sich Neal doch erst einmal erholen!“, mischte sich Francis sofort ein. Sie kam den beiden hinterher.
„Aber wieso? Ich denke, Papi ist wieder gesund?“, sprudelte es förmlich aus Nicholas heraus. Als sie vor Francis’ Wohnungstür standen, lehnte er sich besitzergreifend an seinen Vater.
„Klar werden wir zusammen spielen, mein Hase“, sagte Neal. Er strich seinem Sohn über das Haar.
„Schonen solltest du dich trotzdem“, gab Gero zu verstehen. Er war als erster vorausgegangen, öffnete die Tür und stellte Neals Tasche in den Flur. Dann seufzte er tief und drehte sich um. „Schön, dass du wieder da bist.“
Er küsste seinen Freund auf den Mund. Nicholas rannte in sein Kinderzimmer, und Gero brachte die Tasche ins Schlafzimmer.
Neals Gang war unsicher. Er fühlte sich schwach. Als er seine Jacke abgelegt hatte, zündete er sich sofort eine Zigarette an.
„Das ist schon die dritte, seitdem wir die Klinik verlassen haben“, ermahnte ihn seine Schwester daraufhin. Sie rümpfte die Nase, als sie sah, wie gierig Neal an der Zigarette zog.
„Lass mir doch wenigstens die Kippen“, sagte Neal. Treuherzig sah er seine Schwester an. „Ich habe die ganze Woche nicht geraucht, und das war nicht mal das Schlimmste.“
Er senkte den Blick. Ungern dachte er an die letzten Tage zurück. Der Aufenthalt in der Klinik hatte ihn einige Kräfte gekostet. Die Entgiftung nach der Tabletten- und Heroineinnahme war noch erträglich gewesen. Man hatte ihm starke Beruhigungsmittel gegeben, so dass er nicht wirklich mitbekam, was die Ärzte und Pfleger mit ihm anstellten. Doch als er klarer wurde, kam auch die Nervosität wieder, das Verlangen nach Koks und die absurden Gedanken.
Zudem ging ihm die Fragerei auf die Nerven. Warum hatte er das getan? Wo lagen die Probleme? Menschen fragten nach den Ursachen, Menschen, die er gar nicht kannte und die seine Probleme überhaupt nichts angingen.
Allein Francis und Gero gaben ihm Halt. Sie fragten nicht mehr. Sie waren nur besorgt. Sie wussten Neal in guten Händen. Sie dachten, dass der Klinikaufenthalt die Lösung des Problems war, das Ende der Sorgen.
Doch sie hatten sich geirrt.
„Ich mach mich etwas frisch“, sagte Neal, nachdem er zu Ende geraucht hatte, dann verschwand er im großen Badezimmer.
Einige Sekunden stand er dort vor dem Spiegel. Er musste sich eingestehen, dass er mitgenommen aussah. Schatten lagen um seine Augen. Seine Gesichtsfarbe war fahl und seine Wangen hohl. Nur sein schwarzes Haar glänzte, und seine Lippen signalisierten, dass er gewiss nicht an Blutarmut litt. Er griff nach seinem Handy und wählte eine Nummer.
„Ja? Hallo?“
„Sam? Hier ist Neal …“
Weiter kam er nicht. Sofort wurde er von den Worten seines Gesprächspartners überrollt.
„Aha, sieh an! Dass du dich noch traust bei mir anzurufen! Weißt du, wie lange ich letzte Woche bei unserem Treffpunkt gewartet habe? Fast zwei Stunden! Und erreichen konnte ich dich auch nicht!“
Neal seufzte. Mir derartigen Vorwürfen hatte er gerechnet.
„Es tut mir leid, aber ich konnte nicht kommen, weil ich im Krankenhaus lag.“
Eine kurze Stille stellte sich ein.
„Was schlimmes?“, fragte Sam sofort.
„Nein“, log Neal. Er war
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