Von Liebe und Gift
Ruhe.“
Francis nickte. Sie atmete tief durch.
„Hat sich Nicholas gefangen?“, erkundigte sich Gero schließlich. Francis schüttelte den Kopf.
„Nicht wirklich. Er war ganz durcheinander. Thilo passt jetzt auf ihn auf.“
Sie war den Tränen nahe, wischte sich flüchtig über die Augen.
„Was glaubst du, war in der Spritze?“, fragte sie mit schwacher Stimme. „Glaubst du auch, dass …?“
„Ich will gar nichts glauben“, erwiderte Gero forsch. Er erhob sich und ging ein paar Schritte. Seine Schroffheit war nicht gegen sie gerichtet, das merkte Francis. Gero war nur ebenso ratlos wie sie selbst. Und erneut betätigte er jetzt den Klingelknopf an der Stationstür.
„Hallo?“, fragte er, als sich eine Schwester durch die Gegensprechanlage meldete. „Hier ist noch einmal Gero Steinert. Wann kommt denn endlich ein Arzt und sagt uns, was mit Herrn Anderson los ist? Ich warte schon fast eine Stunde.“
Wieder wurde er vertröstet. Der Arzt käme gleich, hieß es, und es sei momentan viel zu tun. Mit gesenktem Kopf drehte sich Gero wieder um. Er sah traurig aus. Und in dieser Situation wurde Francis bewusst, wie jung Gero noch war, und wie viel schlimmer das Erlebte für ihn sein musste.
„Vorhin“, fing Francis deshalb an zu sprechen, „wie du dich um Neal gekümmert hast, wie du erste Hilfe geleistet hast, das war toll von dir, echt.“ Sie seufzte, was sehr unzufrieden klang. „Du hast einen klaren Kopf behalten, bist nicht ausgerastet. Und ich stand nur so hilflos da.“
Sie sah zu Boden und fuhr sich wieder über die Augen.
„Ich muss so klarbleiben, wenn aus mir mal ein Arzt werden soll“, erklärte Gero. „Doch denke nicht, dass ich nicht ebenso große Angst hatte wie du.“
Er setzte sich zu ihr und umarmte sie liebevoll.
„Außerdem hast du genauso geholfen. Du hast den Rettungsdienst verständigt und dich um Nicholas gekümmert. Das hätte auch nicht jeder gekonnt.“
Sie nickte und lehnte ihren Kopf an seine Schulter. Es vergingen still noch einige Minuten, bis sich endlich die Tür der Intensivstation öffnete, und ein Arzt in blauer Kleidung herauskam. Prüfend sah er das Paar auf den Stühlen an.
„Sind Sie die Angehörigen von Neal Anderson?“
Gero erhob sich als erster. „Ja, was ist denn mit ihm? Wieso hat das so lange gedauert?“
Der Arzt nahm seine Brille ab und holte tief Luft. „Nun, Herr Anderson befand sich in einem äußerst bedrohlichen Zustand. Wir mussten schnell handeln. Mir blieb keine Zeit, vorher mit Ihnen zu sprechen.“
Auch Francis trat näher. Ihr Gesicht war ganz blass geworden.
„Was war denn mit ihm? Was haben Sie mit ihm gemacht?“
„Wir mussten seinen Magen auspumpen und ein Antidot geben“, erklärte der Arzt. „Er war deutlich überdosiert mit Medikamenten, sprich Valium. Und er hat sich Heroin injiziert.“
Als Gero das hörte, schluckte er kräftig. Er hatte so etwas längst geahnt. Es jedoch nun so deutlich zu hören, verschlug ihm die Sprache.
„Heroin?“, wiederholte Francis. Sie bedeckte ihr Gesicht mit den Händen, drehte sich weg. Gero nahm sie sofort in den Arm und drückte sie an sich.
„Was machen Sie jetzt mit ihm? Ich meine, wird er das … überleben?“, fragte er gefasst.
„Ja. Sicher.“ Der Arzt setzte seine Brille wieder auf. Er schien in Eile und schielte schon wieder auf die Tür. „Sie haben ihn ja zum Glück rechtzeitig gefunden. Wir müssen ihn hier aber komplett entgiften.“ Er machte eine kurze Pause. „Er scheint schon länger Drogen genommen zu haben, ist es so?“ Neugierig sah er Gero an. Der schüttelte aber vehement mit dem Kopf.
„Also, soweit ich weiß nicht regelmäßig.“ Er lockerte den Griff um Francis, sah sie hilfesuchend an. Der Arzt zog die Augenbrauen zusammen. Man konnte ahnen, dass er über Neals Zustand ganz anderer Meinung war.
„So oder so, ist Herr Anderson in keiner guten Verfassung“, sagte er demzufolge. „Ich denke, eine Drogenberatung mit Therapie und psychologischer Betreuung ist im Anschluss an den Aufenthalt hier zwingend notwenig.“
Hinter einem großen Glasfenster befand sich das Einzelzimmer von Neal. Francis und Gero, die inzwischen blaue Überziehkittel trugen, traten fast geräuschlos ein. Ohne Worte stellten sie sich vor das Krankenbett und starrten Neal an. Der hatte seine Augen geschlossen, dunkle Ränder umgaben sie. An seinem Oberkörper klebten Elektroden, die an einen Überwachungsmonitor angeschlossen waren. Über einen venösen
Weitere Kostenlose Bücher