Von Liebe und Gift
Bett.
„Geht das nicht anders?“, fragte Gero abermals.
„Soll ich mir wieder was spritzen oder was!?“, schrie Neal daraufhin so laut, dass Gero zusammenzuckte.
„Nein, aber …“
„Dann halt endlich den Mund!“, fauchte Neal. Er löschte das Licht, drehte sich zur Seite und bemerkte nicht einmal mehr, dass nun Gero weinte.
Am nächsten Nachmittag zerrte Gero den Dobermann von Francis regelrecht in die Wohnung. Er hatte seit ein paar Tagen das Gassi gehen mit dem Hund übernommen, um Francis zu entlasten.
„Das ist vielleicht eine lahme Nudel“, sagte Gero, während er den Hund betrachtete, der ins Wohnzimmer trottete und dort auf seiner Decke Platz nahm. „Der hat viel zu wenig Bewegung.“
Francis zuckte mit den Schultern. „Ich habe ihn vor einigen Jahren von Neal bekommen – zum Geburtstag. Damit mich jemand beschützt, wenn er nicht da ist.“ Sie kicherte. „Leider habe ich mittlerweile kaum Zeit für das Tier.“ Sie seufzte, doch schon erhellte sich ihr Gesicht wieder. „Ich muss dir was zeigen!“, rief sie ganz aufgeregt.
Aus ihrer Handtasche, die an der Garderobe hing, kramte sie ihren Mutterpass hervor. Sie klappte ihn auf, dann reichte sie Gero ein Ultraschallbild.
Mit erfreutem Gesicht nahm der es entgegen.
„Wow, ein neues Foto?“ Er staunte. Seine Wangen fingen an zu leuchten. „Das ist klasse.“
Er nickte zufrieden. Obwohl man auf dem Bild erst wenig erkennen konnte, machte ihn diese Neuigkeit zufrieden.
„Dann ist alles in Ordnung mit dem Kind, ja?“, fragte er nach.
„Ja“, bestätigte Francis. „Allmählich wächst es auch wieder. Das tut es ja extrem langsam, aber der Arzt meint, das sei nicht schlimm.“
„Das wird Neal freuen“, entgegnete Gero, während er das Bild weiter genau betrachtete. „Er war gestern so beunruhigt deswegen. Er muss schlecht geträumt haben. Er war so besorgt um das Kind. Er hat sogar geweint.“
Als er das sagte, zuckte Francis zusammen. „Was? Er hat geweint?“ Sie schüttelte den Kopf. Nicht wirklich konnte sie sich daran erinnern, wann ihr Bruder in den letzten Jahren vor ihren Augen geweint hatte. Doch Gero bestätigte seine Aussage.
„Doch, er hat geweint. Nicht viel, aber …“ Er senkte die Hand mit dem Ultraschallbild. „Er ist ziemlich fertig. Ich glaube, er hat viel mehr Kummer, als wir annehmen. Er lässt es sich nicht anmerken, aber es geht ihm schlecht, verdammt schlecht.“ Und was er jetzt aussprach, brach ihm fast das Herz. „Er lässt niemanden an sich heran, nicht einmal mich. Wie sollen wir ihm da bloß helfen?“
Als Francis am Abend bei ihrem Bruder im Haus eintraf, fand sie ihn im Wohnzimmer vor. Zusammengekauert saß er am Terrassenfenster und starrte apathisch nach draußen.
„Was machst du?“, fragte sie prüfend – nicht zu aufdringlich wirkend.
Neal zuckte mit den Schultern. „Ich sehe raus.“ Es klang gelangweilt. „Mein Garten … er ist so schön, doch ich kann mich nicht daran erfreuen. Komisch, nicht?“
Mit traurigen Augen blickte er seine Schwester an.
„Du hast es zurzeit nicht leicht“, sagte sie, „aber das wird sich sicher bald ändern.“ Sie schloss ihn liebevoll in die Arme. Auf keinen Fall wollte sie ihm wieder Vorwürfe machen. Damit hätte sie mit Sicherheit nur das Gegenteil erzielt.
In ihrer Hoffnung, Neal ein wenig aufmuntern zu können, nahm sie das Ultraschalbild aus ihrer Tasche, um es ihm erfreut entgegenzustrecken.
Vorsichtig nahm Neal das Bild in seine schlanken Finger. Wie erwartet erhellte sich sein Blick.
„Unser Kind, ja?“
Francis nickte. Neal lächelte, so dass sein Gesicht noch spitzer aussah. Er drückte das Bild an sich und schloss kurz die Augen. „Du glaubst gar nicht, wie sehr mich das freut. Ich habe so eine Unruhe in mir, so eine Furcht, dass es unserem Kind einmal nicht gut gehen könnte.“ Verbittert sah er seine Schwester an. „Ich weiß nicht, wo das plötzlich herkommt. Und es geht einfach nicht mehr weg.“
Francis seufzte leise. Ihr war schon längst aufgefallen, dass Neals anfängliche Freude über die Schwangerschaft irgendwie verloren gegangen war. Er wirkte nur noch besorgt und unsicher. Es war fast grotesk, dass sie jetzt diejenige war, die ihn aufbauen musste. War sie doch am Anfang von dem ins Haus stehenden Nachwuchs erst recht nicht begeistert gewesen.
„Es wird alles gut gehen mit dem Kind“, sagte sie einfühlsam. Erneut drückte sie Neal an sich. Der atmete entspannt aus.
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