Von Liebe und Gift
Magen hatte sich unfreiwillig verkrampft.
„Und wann kommt Gero heute aus der Uni?“
„Sicher spät“, erwiderte Francis. „Er hat ein Seminar und trifft sich mit einigen Kommilitonen.“
„Was?“ Nun wurde Neal noch nervöser. Wieso hatte ihm Gero davon nichts erzählt?
„Und was machen die da?“
Francis lachte noch lauter. „Was weiß ich? Lernen? Sich unterhalten? Bücher wälzen? Das müsstest du doch wissen, als ehemaliger Student.“
„Klar, sicher.“ Neal biss sich auf die Unterlippe. Er hatte damals sein Studium nie ernst genommen. Und wenn er sich mal mit seinem besten Freund André zum Lernen getroffen hatte, dann endete das stets mit irgendwelchen Fummeleien. Aber Gero würde so etwas doch nie tun, oder?
„Ich komme bald nach Hause“, sagte Francis. „Ich hole Nicki von der Schule ab, und dann gehen wir nur noch einkaufen.“
„Okay.“ Neals Stimme war ganz leise geworden. Er fühlte sich schlecht, miserabel. Noch nie zuvor in seinem Leben hatte er sich so nutzlos und überflüssig gefühlt.
Als er das Gespräch beendete und den Hörer auflegte, wusste er erst recht nicht mehr, was er tun sollte. Wieder ins Bett? Schlafen? Die Wohnung aufräumen?
Sein Blick fiel auf das Sideboard, auf dem das Telefon stand. Dort lagen ein paar Zettel mit Telefonnummern. Vielleicht sollte er jemanden anrufen? Ein wenig plaudern? Doch er kannte fast niemanden von den Personen, die Francis dort aufgelistet hatte, bis ihm eine Visitenkarte in die Hand fiel. Dirk Martens – Designer. Darunter eine Adresse dieser Stadt.
Neal traute seinen Augen nicht. Seine Hände begannen wieder zu zittern. Was wollte Dirk noch? Wieso hatte er sich hier eine Unterkunft gesucht? Konnte er nicht endlich verschwinden?
Neal legte die Visitenkarte wieder weg, doch seine Gedanken fuhren Achterbahn. Und er wusste nicht, was ihn mehr belastete. Die Schwangerschaft? Die Angst um Gero oder das Auftauchen von Dirk?
Gero kam tatsächlich erst am späten Nachmittag zurück. Das Seminar war anstrengend gewesen, und die Hitze hatte allen zu schaffen gemacht. In seinem Gehirn schwirrten noch etliche Fremdwörter herum, als er die Treppen zur zweiten Etage erklomm. Er hatte zuvor Halt beim Chinesen gemacht und trug einige Packungen Hähnchen süß-sauer und Reis mit sich. Er wollte Francis, Nicholas und Neal damit überraschen, doch als er Francis’ Wohnung betrat, bemerkte er sofort die eigenartige Stimmung, die dort herrschte.
Thilo war da. Er stand im Flur und telefonierte. Sein Gesicht war ernst.
Francis kam gerade aus dem Schlafzimmer. Ihre Augen waren rot. Als sie Gero sah, umarte sie ihn innig.
„Was ist denn los?“, fragte Gero sofort. Die Tüte mit dem Essen stellte er ab. Ein ungutes Gefühl stieg in ihm auf. Thilo beendete das Gespräch. Ohne Worte verschwand er wieder im Schlafzimmer - schloss hinter sich die Tür.
„Ist was mit Neal?“, schoss es sofort aus Gero heraus, und zu seinem Entsetzen nickte Francis.
„Er hat es wieder getan. Er hat sich was gespritzt.“ Sie fuhr sich über die Augen. „Als ich von der Arbeit kam, habe ich ihn gefunden. Er steht völlig neben sich.“
Sie senkte den Kopf, rang mit den Tränen. Als Gero die Schlafzimmertür öffnen wollte, hielt sie ihn zurück.
„Bleib hier!“
Doch Gero hörte nicht. Er riss sich los und öffnete die Tür. Er sah Neal im Bett liegen. Seine Augen waren geschlossen. Thilo saß neben ihm und ertastete den Puls. Immer wieder sprach er Neal an:
„Hey, hörst du mich?“ Er klopfte Neal auf die Wange.
„Lass mich“, entwich es Neal. Er drehte sich zur Seite. Da erhob sich Thilo wieder.
„Es ist nicht so schlimm, wie es aussieht …“
Gero konnte kaum glauben, was er hörte.
„Nicht schlimm?“ Fassungslos sah er auf seinen Freund, der offensichtlich nur schlafen wollte und nicht wirklich mitbekam, was sich um ihn herum abspielte.
„Wir müssen einen Arzt rufen! Das kann doch nicht sein!“
Er eilte zum Bett, drehte Neal zu sich und strich über dessen blasses Gesicht.
„Wieso?“ Mit ängstlichen Augen drehte sich Gero wieder um. „Wieso habt ihr nichts unternommen?“, schrie er Thilo vorwurfsvoll an.
„Du kannst nicht jedes Mal einen Arzt rufen, wenn er sich die Venen vollpumpt!“ schrie der zurück. „Das ist doch sinnlos!“
„Aber wir müssen doch etwas tun!“, rief Gero aufgebracht.
„Ich habe mit Dr. Greve gesprochen“, berichtete Thilo. „Es besteht keine akute Gefahr - sein Kreislauf ist
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