Von meinem Blut - Coben, H: Von meinem Blut - Long Lost
nicht viel jünger als die dunkelhaarigen Männer, auf die ich gerade ohne jedes Zögern geschossen hatte. Aber als dieser blonde Teenager in Khakis und Anzughemd die Treppe hinunterrannte– er hatte eine Pistole in der Hand–, drückte ich nicht sofort ab.
» Keine Bewegung«, rief ich. » Die Waffe fallen lassen.«
Das Gesicht des Jungen verwandelte sich in eine Art abscheuliche Totenmaske. Er hob die Pistole und zielte auf mich. Ich sprang zur Seite, rollte mich nach links und schoss in dem Moment, als ich wieder hochkam. Anders als draußen zielte ich aber nicht aufs Herz. Ich schoss auf seine Beine. Ziemlich tief. Der Teenager schrie und fiel zu Boden. Die Pistole hatte er allerdings immer noch in der Hand, und sein Gesicht war weiterhin zu einer kalten Maske verzerrt. Wieder legte er auf mich an.
Ich sprang aus dem Foyer in den Hausflur– und plötzlich stand ich vor der Kellertür.
Ich hatte den blonden Teenager ins Bein geschossen. Er konnte mir unmöglich nach unten folgen. Ich atmete tief durch, legte die freie Hand um den Knauf und öffnete die Tür.
Absolute Dunkelheit.
Ich hielt die Pistole vor die Brust. Drückte mich gegen die Wand, um ein möglichst kleines Ziel abzugeben. Dann tastete ich mich mit dem linken Fuß voran, langsam die Treppe hinunter. In einer Hand hatte ich die Pistole, mit der anderen suchte ich die Wand nach einem Lichtschalter ab. Ich fand keinen. Den Körper immer noch zur Seite gedreht, ging ich langsam weiter. Erst den linken Fuß eine Stufe runter, dann kam der rechte hinterher. Ich dachte an die Munition. Wie viele Kugeln hatte ich noch? Keine Ahnung.
Unten flüsterte jemand.
Kein Zweifel. Das Licht war zwar aus, aber irgendjemand war da unten in der Dunkelheit. Wahrscheinlich mehr als einer. Wieder überlegte ich, was das Klügste wäre– einfach stehen bleiben, umkehren, die Treppe langsam wieder hinaufgehen, auf Verstärkung warten? Draußen wurde nicht mehr geschossen. Ich war sicher, dass Jones und seine Leute das Grundstück in ihrer Hand hatten.
Aber ich kehrte nicht um.
Ich war unten angekommen. Es gab keine weitere Stufe. Ich hörte ein seltsames Schlurfen, und sofort standen mir die Nackenhaare zu Berge. Mit der freien Hand tastete ich an der Wand entlang, bis ich den Lichtschalter gefunden hatte– oder, um genau zu sein, die Lichtschalter. Drei nebeneinander. Ich legte die Hand darunter, atmete tief durch, und dann schaltete ich alle gleichzeitig ein.
Hinterher erinnerte ich mich an weitere Details: die arabische Schrift auf der Wand, die grünen Fahnen mit der blutroten Mondsichel, die Poster von Märtyrern mit Sturmgewehren in Kampfoveralls. Hinterher erinnerte ich mich an die Porträts von Mohammad Matar in den unterschiedlichsten Lebensphasen, auch aus der Zeit, in der er als Assistenzarzt unter dem Namen Jiménez gearbeitet hatte.
Aber im ersten Moment war das alles nur Kulisse.
Denn dort, in der hinteren Ecke des Kellers, sah ich etwas, bei dessen Anblick mir das Herz stockte. Ich blinzelte, sah wieder hin, konnte es nicht glauben, und trotzdem war es vollkommen logisch.
Eine Gruppe blonder Teenager und Kinder schmiegte sich an eine schwangere Frau in einer schwarzen Burka. Die Augen der Teenager waren eisblau, und all diese Augen starrten mich hasserfüllt an. Dann gaben sie ein Geräusch von sich, eine Art Knurren– und dann wurde mir klar, dass es kein Knurren war. Es waren Worte, die ein ums andere Mal wiederholt wurden:
» Al-sabr wal sayf.«
Die Synapsen im Gehirn funkten wieder wie wild: die blonden Haare, die blauen Augen, CryoHope, Dr. Jiménez war Mohammad Matar, Geduld, das Schwert.
Geduld.
Ich unterdrückte einen Schrei, als mir die Wahrheit dämmerte: › Save the Angels‹ hatte die Embryos nicht verwendet, um unfruchtbaren Ehepaaren zu helfen. Sie hatten sie benutzt, um die ultimative Waffe des Terrors zu erschaffen, um sie einzuschleusen und den weltweiten Dschihad zu starten.
Geduld und das Schwert werden die Sünder vernichten.
Die Blondinen kamen auf mich zu, obwohl ich eine Pistole in der Hand hielt. Einige rezitierten etwas. Einige kreischten nur. Einige versteckten sich mit verängstigten Gesichtern hinter der Frau in der Burka. Hastig rannte ich die Treppe hinauf. Oben rief jemand meinen Namen.
» Bolitar? Bolitar?«
Ich wandte der eisblauen, monströsen Höllenbrut unter mir den Rücken zu, rannte die Treppe hinauf, stürzte durch die Kellertür und knallte sie hinter mir zu. Als ob das Ganze dadurch irgendwie
Weitere Kostenlose Bücher