Von meinem Blut - Coben, H: Von meinem Blut - Long Lost
verschwinden würde.
Jones stand oben. Mit seinen Männern in kugelsicheren Westen. Er sah meine Miene.
» Was ist los?«, fragte er. » Was ist da unten?«
Aber ich bekam kein Wort heraus, konnte keinen klaren Gedanken fassen. Ich rannte raus zu Berleand und sackte neben seinem reglosen Körper zusammen. Ich hoffte auf Gnade, hoffte, dass ich in dem Chaos vielleicht einen Fehler gemacht hatte. Aber das hatte ich nicht. Berleand, der arme, wunderbare Mistkerl, war tot. Noch einmal nahm ich ihn ein oder zwei Sekunden in den Arm. Nicht länger. Mehr Zeit hatte ich nicht.
Der Job war noch längst nicht erledigt. Berleand wäre der Erste gewesen, der mir das gesagt hätte.
*
Ich musste immer noch Carrie finden.
Während ich zum Haus zurücklief, rief ich Terese an. Sie meldete sich nicht.
Ich beteiligte mich an der Durchsuchung des Hauses. Jones und seine Männer waren schon im Keller. Die Blondinen wurden nach oben geführt. Ich sah sie an, blickte ihnen in die hasserfüllten Augen. Carrie war nicht dabei. Wir fanden noch zwei Frauen in traditionellen, schwarzen Burkas, die den ganzen Körper und auch das Gesicht bedeckten. Beide waren schwanger. Als seine Männer anfingen, die Festgenommenen nach draußen zu bringen, sah Jones mich erschrocken und ungläubig an. Ich erwiderte den Blick und nickte. Diese Frauen waren keine Mütter. Sie waren menschliche Brutkästen.
Wir suchten noch weiter, öffneten sämtliche Schränke, fanden Lehrmaterialien, Filme, Laptops, Schrecken über Schrecken. Aber keine Carrie.
Ich nahm mein Handy und versuchte es wieder bei Terese. Sie meldete sich immer noch nicht. Weder an ihrem Handy noch in Wins Apartment in Manhattan.
Ich taumelte nach draußen. Win war da. Er stand auf der Veranda und wartete auf mich. Unsere Blicke trafen sich.
» Terese?«, fragte ich.
Er schüttelte den Kopf. » Sie ist weg.«
Wieder einmal.
39
Provinz Cabinda, Angola
Drei Wochen später
Wir sind jetzt seit über acht Stunden in diesem Pick-up durch diese wahnwitzige Landschaft gefahren. Seit sechs Stunden habe ich weder einen Menschen noch ein Gebäude gesehen. Ich bin schon öfter in abgelegenen Gegenden gewesen, aber dies ist abgelegen hoch zehn.
Als wir die Hütte erreichen, hält der Fahrer am Straßenrand und macht den Motor aus. Er öffnet mir die Tür und reicht mir meinen Rucksack. Er zeigt mir den Pfad. In der Hütte sei ein Telefon, erzählt er mir. Wenn ich wieder zurückwolle, solle ich ihn von dort anrufen. Er komme dann und hole mich wieder ab. Ich bedanke mich und gehe den Pfad hinauf.
Nach sechs Kilometern sehe ich die Lichtung.
Terese ist da. Sie steht mit dem Rücken zu mir. Als ich in der Nacht in Wins Apartment zurückkam, war sie verschwunden, genau wie Win es gesagt hatte. Sie hatte eine ganz einfache Nachricht hinterlassen.
» Ich liebe dich so sehr.«
Das war alles.
Terese hat jetzt schwarz gefärbte Haare. Wahrscheinlich ist es so einfacher, sich zu verstecken. Blondinen stechen hervor, selbst in dieser Abgeschiedenheit. Mir gefällt ihre neue Haarfarbe. Ich beobachte sie, als sie sich von mir entfernt, und kann mir ein Lächeln nicht verkneifen. Sie steht mit hoch erhobenem Kopf und nach hinten gezogenen Schultern– in der perfekten Haltung. Ich denke zurück an das Überwachungsvideo, auf dem ich gesehen hatte, dass Carrie in der gleichen perfekten Haltung stand und sich im gleichen selbstbewussten Gang bewegte.
Terese ist umgeben von drei schwarzen Frauen in farbenfrohen Gewändern. Ich gehe auf sie zu. Eine der Frauen sieht mich und flüstert etwas. Neugierig dreht Terese sich um. Als sie mich sieht, fängt ihr Gesicht an zu leuchten. Meins wohl auch. Sie lässt den Korb fallen, den sie in der Hand hält, und kommt auf mich zugerannt. Sie zögert keine Sekunde. Ich laufe ihr entgegen. Sie umarmt mich und zieht mich an sich.
» Gott, was habe ich dich vermisst«, sagt sie.
Ich erwidere die Umarmung. Das ist alles. Ich will nichts sagen. Noch nicht. Ich will in dieser Umarmung versinken. Ich will mit ihr verschmelzen und für immer in ihren Armen verschwinden. Tief im Herzen weiß ich, dass ich hierhergehöre, hierher, in ihre Arme, und einen Moment lang will und muss ich diesen Frieden auskosten.
Schließlich frage ich: » Wo ist Carrie?«
Sie nimmt meine Hand und führt mich zu einer Ecke der Lichtung. Sie deutet auf das Feld über uns auf einer weiteren Lichtung. Hundert Meter weiter. Carrie sitzt da mit zwei ungefähr gleichaltrigen schwarzen Mädchen.
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