Von meinem Blut - Coben, H: Von meinem Blut - Long Lost
soll kein obszöner Witz sein. Ich hielt sein Bein mit beiden Händen fest. Er versuchte, mich weiter mit Schlägen einzudecken. Ich rückte näher an ihn heran, presste ihm meinen Kopf gegen die Brust. Die meisten Leute glauben, wenn der Gegner einen mit Faustschlägen bearbeitet, muss man auf Abstand gehen. Das Gegenteil ist richtig. Wenn man ihm das Gesicht auf die Brust drückt, nimmt man den Schlägen die Kraft. Und genau das machte ich.
Er versuchte, mir auf die Ohren zu schlagen, dafür brauchte er allerdings beide Hände und machte sich somit angreifbar. Ich hob schnell und kraftvoll den Kopf und knallte ihn ihm unten ans Kinn. Er zuckte zurück. Ich warf mich auf ihn.
Beim Ringen ging es jetzt um Hebel, Technik und Gewicht. In zwei Punkten lagen die Vorteile im Moment eindeutig bei mir– Hebel und Gewicht. Ich war zwar immer noch leicht benommen von seinem plötzlichen Angriff, nach dem Kopfstoß war er jedoch auch nicht mehr ganz fit. Ich hatte seinen Fuß immer noch in der Hand. Ich drehte ihn kräftig um. Er folgte der Bewegung, und in dem Moment machte er seinen großen Fehler.
Er wandte mir den ungeschützten Rücken zu.
Ich ließ das Bein los, warf mich auf ihn und schlang ihm die Beine um die Hüfte und den rechten Arm um den Hals. Er wusste, was kam. Er bockte wie ein Pferd, versuchte, mich abzuwerfen, und drückte dabei das Kinn herunter, damit ich ihm den Unterarm nicht um den Hals legen konnte. Ich verpasste ihm einen Palm-Strike an den Hinterkopf, packte dann seine Stirn und riss seinen Kopf nach hinten. Er kämpfte dagegen an, ich konnte den Kopf aber weit genug hochziehen, um ihm den Unterarm vor den Hals legen zu können. Ich schob den Ellbogen vor die Kehle und hatte ihn damit im Würgegriff.
Ich hatte ihn. Jetzt war es nur noch eine Frage der Zeit.
Und dann hörte ich ein Geräusch, eine Stimme rief etwas in einer fremden Sprache. Ich überlegte, ob ich ihn loslassen und nachsehen sollte, wer das war, aber ich hielt ihn weiter fest. Das war mein Fehler. Ein zweiter Mann war in die Garderobe gekommen. Er schlug mir gegen den Hinterkopf, wahrscheinlich mit einem Handkantenschlag, also einer klassischen Karatetechnik. Benommenheit breitete sich aus, als wäre mein ganzer Körper zum Musikantenknochen geworden. Mein Würgegriff lockerte sich.
Wieder hörte ich den Mann in der gleichen Sprache etwas rufen. Das verwirrte mich. Der erste Mann befreite sich aus meiner Umklammerung und schnappte nach Luft. Er rollte sich zur Seite. Jetzt waren sie zu zweit. Ich sah den zweiten Mann an. Er hatte eine Pistole auf mich gerichtet.
Ich war erledigt.
» Keine Bewegung«, sagte der Mann mit ausländischem Akzent.
Fieberhaft suchte mein Gehirn nach einem Ausweg, aber ich war zu sehr weggetreten. Der erste Mann stand auf. Er atmete immer noch schwer. Wir sahen uns an, unsere Blicke trafen sich, und da sah ich etwas Eigenartiges in seinen Augen. Keinen Hass. Vielleicht eher Respekt. Ganz genau kann ich es nicht sagen.
Wieder sah ich den Mann mit der Pistole an.
» Keine Bewegung«, sagte er noch einmal. » Und folgen Sie uns nicht.«
Dann rannten beide los und verschwanden.
19
Ich taumelte in den Fahrstuhl. Ich hatte gehofft, ungesehen in mein Zimmer zu kommen, aber der Fahrstuhl hielt in der Lobby. Eine sechsköpfige amerikanische Familie sah mich an, musterte mein zerrissenes Hemd, den blutenden Mund und den Rest, stieg trotzdem dazu und sagte: » Hi!« Die nächsten Stockwerke hörte ich, wie die große Schwester über ihren Bruder mäkelte, die Mutter sie anflehte, dass sie endlich aufhören sollten, der Vater versuchte, das Ganze nicht zu beachten, und die beiden anderen Geschwister sich kniffen, sobald die Eltern nicht hinsahen.
Als ich ins Zimmer kam, rastete Terese aus, fing sich aber sofort wieder. Sie half mir hinein und rief Win an. Der bestellte einen Arzt. Der Arzt erschien kurz darauf, untersuchte mich und erklärte, dass wohl nichts gebrochen sei. Ich wäre bald wieder in Ordnung. Ich hatte heftige Kopfschmerzen, wahrscheinlich von einer leichten Gehirnerschütterung, und sehnte mich nach Ruhe. Der Doktor gab mir etwas, worauf alles in einem Nebel verschwand. Das Nächste, woran ich mich erinnern konnte, war, dass ich spürte, wie Win mir im dunklen Zimmer gegenüberstand. Ich öffnete erst ein Auge, dann das andere.
Win sagte: » Du bist ein Idiot.«
» Nein, du brauchst dir keine Sorgen zu machen, ich fühl mich schon wieder viel besser.«
» Du hättest auf mich warten
Weitere Kostenlose Bücher