Von meinem Blut - Coben, H: Von meinem Blut - Long Lost
nicht besonders freundlich«, sagte ich.
» Das bin ich auch nicht. Hübsch, wie Sie sich unserer Beschattung entzogen haben, sehr witzig finde ich das allerdings nicht.«
» Wer sind Sie?«
» Sie können mich Special Agent Jones nennen.«
» Kann ich Sie auch Super Special Agent Jones nennen? Wo ist Capitaine Berleand?«
» Capitaine Berleand ist im Urlaub.«
» Seit wann?«
» Seit er Ihnen unzulässigerweise das Fahndungsfoto geschickt hat. Er war es doch, der Ihnen das Fahndungsfoto geschickt hat, oder?«
Ich zögerte. Dann sagte ich: » Nein.«
» Alles klar. Wo sind Sie, Bolitar?«
In Contuzzis Wohnung klingelte das Telefon. Ein Mal, zwei Mal, drei Mal.
» Bolitar?«
Nach dem sechsten Klingeln hörte es auf.
» Wir wissen, dass Sie noch in London sind. Wo sind Sie?«
Ich beendete die Verbindung und starrte auf die Wohnungstür vor mir. Das Telefon– es war ein altmodisches Klingeln gewesen, kein neumodischer Handy-Klingelton, also war es wahrscheinlich der Festnetzanschluss. Hmm. Ich legte die Hand an die Tür. Kräftig und solide. Ich drückte mein Ohr an die kühle, glatte Oberfläche, wählte Marios Handynummer und sah dabei auf das Display meines Handys. Nach ein paar Sekunden war die Verbindung hergestellt.
Als ich das leise Zirpen von Marios Handy hörte– das Festnetztelefon war deutlich lauter gewesen–, bekam ich es mit der Angst zu tun. Vielleicht hatte es gar nichts zu bedeuten, aber heutzutage bewegten sich die meisten Menschen keinen Schritt mehr, ohne ihr Handy irgendwo bei sich zu tragen, nicht einmal zur Toilette. Man konnte das beklagen, aber die Wahrscheinlichkeit, dass ein Mann, der für das Fernsehen arbeitete, ohne sein Handy ins Büro ging, war doch sehr gering.
» Mario?«, rief ich.
Ich trommelte gegen die Tür.
» Mario?«
Natürlich rechnete ich nicht damit, dass er mir öffnete. Wieder presste ich das Ohr an die Tür und horchte, wobei ich gar nicht wusste, was ich dort zu hören hoffte– vielleicht ein Stöhnen. Ein Grunzen. Irgendetwas.
Nichts.
Ich überlegte, welche Möglichkeiten mir zur Verfügung standen. Viele waren es nicht. Ich ging einen Schritt zurück, hob den Fuß und trat gegen die Tür. Sie bewegte sich keinen Millimeter.
» Die Tür ist stahlverstärkt, Mann. Die können Sie nicht eintreten.«
Ich drehte mich um und sah den Sprecher an. Er trug eine schwarze Lederweste ohne Hemd oder Unterhemd darunter– und war leider nicht so gebaut, dass es gut aussah. Sein Körperbau war, wie ich es viel zu deutlich direkt vor Augen hatte, gleichzeitig hager und schwabbelig. Er trug einen Nasenring. Seine Haare waren schon ziemlich dünn, aber das, was davon noch übrig war, hatte er gewissermaßen vom Rand her zu einem Irokesenschnitt in der Mitte aufgetürmt. Ich schätzte ihn auf Anfang fünfzig. Er sah aus, als wäre er 1979 in eine Schwulenbar gegangen und gerade erst wieder nach Hause gekommen.
» Kennen Sie die Contuzzis?«, fragte ich.
Der Mann lächelte. Ich erwartete einen weiteren Alptraum, dieses Mal im Dentalbereich, aber während der Rest seines Körpers sich in unterschiedlichen Stadien des Verfalls zu befinden schien, strahlten seine Zähne weiß. » Ah«, sagte er. » Amerikaner, was?«
» Ja.«
» Ein Freund von Mario, was?«
Ich sah keinen Grund, mich in langen Ausführungen zu ergehen. » Ja.«
» Na ja, was soll ich sagen, Kumpel? Normalerweise sind die ein ruhiges Ehepaar, aber Sie wissen ja, was man so sagt– wenn die Frau aus dem Haus ist, tanzen die Mäuschen an.«
» Was meinen Sie damit?«
» Er hatte ’n Mädchen in der Wohnung. Muss sie sich wohl bestellt haben, wenn Sie verstehen, was ich meine. Die Musik war auch verdammt laut. Und verteufelt schlecht. Die Eagles. Mein Gott, ihr Amerikaner solltet euch wirklich was schämen.«
» Beschreiben Sie mir die Frau.«
» Warum?«
Ich hatte keine Zeit für so etwas. Ich zog meine Pistole. Ich richtete sie nicht auf ihn, ich zog sie nur heraus. » Ich arbeite für die amerikanische Polizei«, sagte ich. » Ich mache mir Sorgen, dass Mario sich in ernster Gefahr befinden könnte.«
Ich weiß nicht, ob die Pistole oder der Appell den Möchtegern-Billy-Idol aus der Fassung brachte. Jedenfalls zog er die knochigen Schultern hoch. » Hey, was soll ich dazu sagen? Jung, blond. Ich hab sie nur kurz gesehen. Sie ist gestern Abend gekommen, gerade als ich die Wohnung verlassen hab.«
Jung, blond. Mein Herz wummerte. » Ich muss in die Wohnung.«
» Die Tür können Sie nicht
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