Von meinem Blut - Coben, H: Von meinem Blut - Long Lost
sagte: » Lassen Sie sich Zeit, ich komme gleich wieder, dann können wir darüber sprechen, ob wir eventuell die Lieferkosten übernehmen.«
Er kam zu mir und sah mir in die Augen. » Was wollen Sie?«
» Mich entschuldigen.«
Coach Bobby rührte sich nicht. Wir schwiegen drei Sekunden. Dann: » Gut, das haben Sie hiermit ja getan.«
Er drehte sich um und ging zurück zu den Kunden.
Esperanza gab mir einen Klaps auf den Rücken. » Mensch, das muss ja eine echte Befreiung für dich sein.«
*
Dr. Freida Schneider war klein, stämmig und empfing mich mit einem breiten, vertrauensvollen Lächeln. Sie war eine orthodoxe Jüdin, komplett mit Kopfbedeckung und in hochgeschlossenem Kleid. Ich traf mich mit ihr in der Cafeteria des Terence Cardinal Cooke Health Care Centers an der 5th Avenue in der Nähe der 103rd Street. Esperanza war draußen geblieben und führte ein paar Telefonate. Dr. Schneider fragte mich, ob ich etwas essen wollte. Ich lehnte ab. Sie bestellte sich ein aufwendiges Sandwich. Wir setzten uns. Sie betete leise und fing dann an, das Sandwich zu verschlingen, als hätte es sie unflätig beschimpft.
» Ich habe nur zehn Minuten«, erläuterte sie.
» Ich dachte, es wäre eine Viertelstunde.«
» Ich hab’s mir anders überlegt. Vielen Dank für die Spende.«
» Ich muss Ihnen ein paar Fragen über Sam Collins stellen.«
Schneider schluckte den Bissen herunter. » Das hat Ihre Kollegin schon gesagt. Die ärztliche Schweigepflicht ist Ihnen ein Begriff, oder? Dann könnten wir den Vortrag überspringen?«
» Das wäre gut.«
» Er ist tot, daher sollten Sie mir sagen, warum Sie sich für ihn interessieren.«
» Wenn ich das richtig verstanden habe, hat er Selbstmord begangen.«
» Wenn Sie das schon wissen, brauche ich Ihnen das ja nicht zu sagen.«
» Kommt das bei Huntington-Patienten häufiger vor?«
» Wissen Sie etwas über die Huntington-Krankheit?«
» Ich weiß, dass es eine Erbkrankheit ist.«
» Huntington Chorea ist eine erblich übertragene neuro-degenerative Störung.« Sie sagte das zwischen zwei Bissen. » Die Krankheit bringt einen nicht direkt um, mit dem Fortschreiten der Störung treten allerdings zahlreiche lebensbedrohliche Komplikationen auf wie Lungenentzündungen und Herzversagen und diverse andere unappetitliche Dinge, die irgendwann unweigerlich zum Tode führen. Huntington befällt den Körper, die Psyche und das Gehirn. Es ist keine schöne Krankheit. Also, um auf Ihre Frage zurückzukommen, ja, Selbstmorde sind nicht ungewöhnlich. Es gibt Studien, die zeigen, dass jeder Vierte einen Versuch unternimmt und ungefähr sieben Prozent der Erkrankten damit erfolgreich sind, wobei der Begriff › erfolgreich‹ bei einem Selbstmord durchaus einen seltsamen Beiklang annimmt.«
» Und wie war es bei Sam Collins?«
» Er litt schon unter Depressionen, bevor Huntington Chorea diagnostiziert wurde. Schwer zu sagen, was zuerst da war. Huntington fängt meistens mit physischen Störungen an, andererseits gibt es auch viele Fälle, wo erst die Psyche oder die kognitiven Fähigkeiten betroffen sind. Seine Depression könnte also ein erstes Anzeichen einer nicht erkannten Huntington gewesen sein. Spielt aber eigentlich keine Rolle. Im Endeffekt ist er an Huntington gestorben– Suizid ist in solchen Fällen nur ein weiteres tödliches Symptom dieser Krankheit.«
» Wenn ich das richtig verstanden habe, wird Huntington ausschließlich durch Vererbung übertragen.«
» Ja.«
» Und wenn ein Elternteil daran leidet, besteht für ein Kind eine fifty-fifty Wahrscheinlichkeit, es auch zu bekommen.«
» Um das Ganze nicht unnötig zu verkomplizieren, sage ich einfach mal, dass das zutrifft, ja.«
» Und wenn nicht mindestens ein Elternteil daran gelitten hat, bekommen die Nachkommen es auch nicht. Der Stammbaum ist dann sauber.«
» Fahren Sie fort.«
» Das bedeutet, dass entweder Sam Collins’ Mutter oder sein Vater daran gelitten haben muss.«
» Das ist richtig. Und da seine Mutter über achtzig geworden ist und keinerlei Anzeichen von Huntington gezeigt hat, muss er es wohl vom Vater geerbt haben, der jung gestorben ist und daher keine Symptome ausgebildet hat.«
Ich beugte mich zu ihr. » Haben Sie Sam Collins’ Kinder getestet?«
» Das geht Sie eigentlich nichts an.«
» Ich meine ganz konkret Rick Collins. Der auch verstorben ist. Genaugenommen wurde er ermordet.«
» Laut Zeitung von Terroristen.«
» Ja.«
» Trotzdem glauben Sie, dass die
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