Von Napoleon lernen, wie man sich vorm Abwasch drückt: Eine heitere Historie Europas (German Edition)
Zucker dazu?» – «Ja.» Und schon wird wieder missmutig aus dem Fenster geschaut. Kein Bitte, kein Danke. Später nur: «Zahlen!»
Die Formel «Wenn’s recht ist» hat sich noch in Österreich und in Frankreich erhalten. Das dortige «s’il vous plaît» wird bei uns einfach mit «Bitte» übersetzt, aber es bedeutet im Wortlaut «Wenn es Ihnen gefällt».
Briten grüßen einen selbst an Orten, an denen man es nicht erwarten würde, u.a. wenn sie in einen Pool steigen. Auch wenn man sich im Zug neben jemanden setzt, sagt man hallo zu seinem Sitznachbarn. Im germanischen Großraumwagen dagegen ist es nichts Besonderes, wenn sich ein Hüne grußlos neben einen fläzt, in der Hand einen Döner. Ist der unter lautem Schmatzen verschlungen, werden auch schon mal Schuhe und Socken ausgezogen. Der Überraschungseffekt ist immer auf der Seite des Barbaren. Bis heute verwechseln Deutsche übrigens gerne Ursprünglichkeit mit Barbarei.
Stil ist in England stets auch eine Frage der Kleidung. So ist der Dresscode für alle, die im Büro arbeiten, in London z.B., viel strenger als bei uns. Kein Wunder also, dass die Straßen werktags von Schlips- und Anzugträgern nur so bevölkert werden. Auffällig dabei: Im Gegensatz zu uns kennen die Briten keine «lustigen» Krawatten. Dafür stürzen dieselben korrekten Businessleute direkt nach Feierabend im nächstbesten Pub ab – immerhin sind sie dann gut angezogen, wenn sie auf allen vieren nach Hause krabbeln.
Würde ein deutscher Chef mit seinen Leuten jeden Tag nach Büroschluss saufen gehen und seine Kollegen unter den Tisch trinken, wäre das seiner Autorität in jedem Fall abträglich. In Großbritannien wird es ihm als Führungsstärke angerechnet.
Dabei haben die Briten durchaus auch Barbaren unter sich, und im Gegensatz zu ihnen wirkt selbst der gröbste Germane geradezu gut erzogen: die englischen Hooligans. Als wenn das Stilbewusstsein einer Kehrseite, eines Ausgleichs bedarf. Am besten, man lernt auf Reisen beide Seiten kennen, um die Engländer besser zu verstehen – ohne dabei Schaden zu nehmen, natürlich.
Blind Date & Photoshop
Auch wenn die Briten in der europäischen Geschichtsliga lange auf den hinteren Plätzen spielten, überflügelten sie später alle anderen, gründeten das größte Kolonialreich der Erde, mit einer hochentwickelten Insel in der Mitte voller Fabriken, den meisten Eisenbahnlinien, den meisten Telefonapparaten. Aber bis dahin muss man lange suchen, um Innovationen zu finden.
Entsprechend überrascht war ich, dass man schon im englischen Mittelalter das Blind Date kannte. So unterzeichnete der englische König Heinrich VIII . einen Ehevertrag mit Anna von Kleve, ohne sie je zuvor gesehen zu haben. Ihm wurde lediglich ein Bild von ihr gezeigt, ein Gemälde, das der Maler Hans Holbein angefertigt hatte. Was Heinrich nicht wusste: Holbein bediente sich damals schon der Bildbearbeitung, viele Jahrhunderte bevor Photoshop das für uns übernahm.
Er retuschierte all ihre Makel und reizte ihre Reize derart aus, dass Heinrich VIII . sich allein aufgrund des Bildes Hals über Kopf in Anna verliebte. Unverzüglich unterschrieb er den Ehevertrag. Er verhielt sich also im Grunde genommen nicht anders als diejenigen, die heute denken, dass die beim Online-Dating-Portal eingestellten tollen Fotos irgendetwas mit den echten Menschen zu tun haben.
Bei ihrem ersten Date fiel Heinrich natürlich aus allen Wolken. Angeblich war Anna nicht so schön, wie er gehofft hatte. Was tun? Die Ehe war ja schon geschlossen. Kein Problem, wurde sie halt wieder annulliert, mit der Begründung, dass ja noch nichts gelaufen und die Ehe somit auch noch nicht vollzogen worden sei. Es war auch nicht Heinrichs erste Scheidung. Sein Frauenverschleiß ist sagenumwoben. Allein sechs Ehefrauen hatte er – da kommen nicht mal Gegenwartspolitiker ran.
Wichtigster Auftrag einer Königin: ihrem Mann einen Thronfolger zu gebären. Mit Katharina von Aragon, seiner ersten Frau, setzte Heinrich allerdings nur eine putzmuntere Tochter in die Welt, Mary. Heinrich bekam daraufhin Thronfolgerpanik und wollte sich scheiden lassen, aber der Papst verweigerte seine Zustimmung. Und was macht man da als König? Kurzerhand das gesamte Land aus der Kirche austreten lassen und eine eigene gründen: die anglikanische. Ist ja nicht so, dass man als König keine Macht hat. Schon einmal hatte Heinrich der Überlieferung nach einen ganzen Berg abtragen lassen, da er bei einem Treffen mit
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