Von nun an fuer immer
einer Nachtschicht in der Klinik heimkam, war sie immer ganz durchgefroren.“ Die sorgfältig verdrängten Erinnerungen ließen sich nun nicht mehr zurückhalten. Erinnerungen an diese eiskalten Wintermorgen, als sie zu ihm ins Bett gekrochen war, durchgefroren und müde von der Arbeit in der Klinik. Sie hatte sich dann immer an ihn gekuschelt und sich von ihm wärmen lassen. Wie gern würde James jetzt neben ihr im Bett liegen und sie wie damals aufwärmen und dabei im Arm halten. Doch natürlich war das nicht möglich. Wie schon seit über zehn Jahren nicht mehr.
Was sollte er jetzt tun? Was war richtig, was falsch? In seinem Kopf überschlugen sich die Gedanken. Sie hatte ihn verlassen. Würde sie es überhaupt wollen, dass er jetzt an ihrem Bett saß?
Ja!
Unfälle passierten – wer wüsste das nicht besser als James Morrell. Aber Lorna schwer verletzt … Sein Herz krampfte sich zusammen bei dem Gedanken daran, dass sie vielleicht sterben würde. Oder einen bleibenden Hirnschaden hatte. Doch es musste irgendeinen Grund dafür geben, dass sie hier war. Sie war zu ihm zurückgekommen, auch wenn es nur zum Lebewohl-Sagen war.
Als er ihre Hand an sein Gesicht drückte, konnte James sich nicht länger zusammenreißen. Er beugte sich zu ihr herunter und vergrub sein Gesicht in ihrem Haar. Atmete den Duft des Lavendelshampoos ein, das sie noch immer benutzte, und spürte ihre Haut auf seinen Lippen. Eine Sekunde lang dachte er, im Bett nebenan müsste jemand gestorben sein, denn er hörte ein tiefes, schmerzerfülltes Weinen. Erst als jemand ihn an der Schulter berührte, wurde ihm klar, dass er selbst es war, der weinte.
„Sprich mit ihr, James!“ Angela musste May geholt haben, denn sie war es, die nun neben ihm stand und ihn drängte, Lorna endlich alles zu sagen, was ihm auf dem Herzen lag. Und genau das tat er dann auch. Er sagte ihr all die Dinge, die er ihr seit ihrer Trennung hatte sagen wollen. Immer wieder, in der Hoffnung, dass sie ihn hören konnte.
„Ihre Familie ist jetzt da.“ Viel zu früh unterbrach ihn May. „Sie möchten, dass du gehst.“
In all den Jahren, die er nun schon in der Notaufnahme arbeitete, hatte James sich immer wieder gefragt, wie Angehörige sich am Bett eines schwer kranken Familienmitglieds streiten konnten. Mehr als einmal hatte er schreckliche, hasserfüllte Szenen erlebt, die ihm angesichts des Elends der Patienten völlig unpassend erschienen waren. Doch als er nun das selbstgefällige Gesicht von Pastor McClelland sah, der mit einem scheinheiligen Lächeln auf ihn zukam, verstand James es plötzlich.
„James!“, begrüßte sein Exschwiegervater ihn. „Danke, dass du dich um Lorna gekümmert hast, bis wir da waren.“
James wusste, dass er nun höflich nicken, sich verabschieden und gehen sollte. Aber er konnte nicht.
„Natürlich habe ich mich um sie gekümmert.“
„James!“ Wie schaffte man es, zu lächeln und gleichzeitig sein Gift zu verspritzen? Doch in dieser Disziplin war Pastor McClelland schon immer ein Meister gewesen. „Es war sehr freundlich von dir, ihr etwas von deiner kostbaren Zeit zu schenken.“
„Was meinst du damit?“, erwiderte James zornig. „Sie war meine Frau!“
„Und nun ist sie deine Exfrau. Sie hat dich verlassen, erinnerst du dich?“ Er lächelte nun nicht mehr, sondern versuchte, ein mitleidiges Gesicht zu machen. „Lorna hat sich vor über zehn Jahren von dir scheiden lassen. Wie gesagt, Betty und ich waren sehr froh, dass eine vertraute Person bis zu unserer Ankunft bei Lorna war. Doch jetzt sind wir da – und wir möchten, dass du gehst.“
„Lorna würde aber nicht wollen …“
„Ich weiß am besten, was meine Tochter wollen würde, James“, unterbrach Pastor McClelland ihn. „Du hast sie seit Jahren nicht gesehen. Sie ist nicht mehr die junge Frau, die du verführt hast. Und ich kann dir versichern, dass die Lorna von heute nicht will, dass du an ihrem Bett sitzt. Du hast meiner Familie genug Leid zugefügt. Bestimmt verstehst du, dass ich das nicht noch einmal zulassen kann.“
Ohne James noch einen weiteren Blick zu schenken, setzte er sich ans Bett seiner Tochter. Widerwillig musste James erkennen, dass ihm nichts anderes übrig blieb, als zu gehen.
„Danke für alles, was Sie heute für mich getan haben, Angela“, murmelte James, nachdem er einen letzten sehnsüchtigen Blick auf Lorna geworfen hatte und dann Angela und May auf den Gang gefolgt war. „Bitte rufen Sie mich an, falls es etwas
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