Von nun an fuer immer
einer Ausrede an, doch er sagte die Wahrheit. „Ich weiß es wirklich nicht.“
„Fühlst du dich nicht wohl?“, erkundigte sie sich.
„Nein, daran liegt es nicht.“ Er holte tief Luft und versuchte, die richtigen Worte zu finden. Wie sollte er seinen Zustand beschreiben? Nervös? Ängstlich? Nein, beides passte irgendwie nicht. Er fühlte sich einfach unwohl. Eine bessere Beschreibung fiel ihm nicht ein. Doch wie sollte er das May erklären?
„Im Augenblick ist bei uns in der Abteilung ja auch die Hölle los. Der Personalengpass und so …“, bot sie ihm eine Erklärung an.
„Nein, das ist es auch nicht. Ich bin völlig erschüttert darüber, dass wir jemanden übersehen haben. Ich hatte es irgendwie im Gefühl, dass es noch nicht vorbei war …“ Seine letzten Worte wurden bereits von dem ohrenbetäubenden Heulen der Sirene übertönt.
Noch bevor der Rettungswagen zum Stehen kam, hatten die Mitarbeiter des Rettungsdienstes schon die Türen aufgerissen. Als der Fahrer die sensationslüsternen Reporter mit ihren Kameras sah, zog er der Patientin schnell eine Decke über das Gesicht. Da sie intubiert war und maschinell beatmet wurde, war es kein Problem, sie so zuzudecken. Der Rettungsassistent hatte unterdessen ununterbrochen die Herzdruckmassage durchgeführt. Mit geübten Handgriffen wurde die Trage aus dem Rettungswagen gezogen, dann wurden die Räder ausgeklappt. James übernahm nun die Druckmassage, während May und der Rettungsassistent die Patientin eilig in Richtung Notaufnahme schoben.
Plötzlich blieb James wie erstarrt stehen. Nur für den Bruchteil einer Sekunde zwar, aber es reichte, um einen missbilligenden Blick von May zu ernten.
Sie hatte schon immer entzückende Füße gehabt.
Obwohl sie sich stets unauffällig gekleidet und niemals geschminkt hatte, waren Lornas Zehennägel immer pink lackiert gewesen. Genau wie bei dieser Patientin hier. Und Lorna hatte ebenfalls einen Leberfleck auf ihrem rechten Fußrücken.
Die schreckliche Erkenntnis, dass sie es sein musste, ließ James erstarren. Nein, das war absurd. Lorna war nicht hier in London. Er wollte, nein, er musste der Patientin die Decke vom Gesicht ziehen, um sicherzugehen, dass es nicht Lorna war.
Doch im Grunde wusste er bereits, dass es keinen Zweifel gab.
Unter der Decke lugte eine kastanienbraune, nasse Haarsträhne hervor, und als sie die Verletzte endlich in den Schockraum gebracht hatten, wurde ihr die Decke vom Gesicht genommen. Nun hatte er die Bestätigung – auch wenn er schon seit fast einer Minute gewusst hatte, dass sie es war.
Schon oft hatte James sich gefragt, ob sie sich wohl verändert haben mochte. Als er einige Jahre zuvor in Glasgow auf einer Konferenz gewesen war, hatte er in allen Geschäften und Bars nach einer Frau mit glänzendem kastanienbraunem Haar und bernsteinfarbenen Augen Ausschau gehalten. Natürlich hatte er sich gesagt, dass seine suchenden Blicke sinnlos waren. Es war fast zehn Jahre her; vielleicht hatte sie sich inzwischen die Haare gefärbt oder war dick geworden, oder – was noch schlimmer gewesen wäre – er hätte sie getroffen, während sie einen Kinderwagen vor sich herschob. Streng hatte er sich ermahnt, vernünftig zu sein. Selbst wenn er sie zufällig treffen würde, war es gar nicht unwahrscheinlich, dass er sie überhaupt nicht erkennen würde.
Natürlich hatte er im Grunde seines Herzens gewusst, dass er sich etwas vormachte. Und heute hatte er die Bestätigung dafür bekommen.
Selbst nach zehn Jahren hatte er sie sofort erkannt – allein wegen ihres hübschen Fußes.
„Sie war bewusstlos, als sie gefunden wurde, aber der Puls war noch tastbar. Als wir sie aus ihrem Wagen zogen, hatte sie dann einen Herzstillstand“, berichtete der Rettungsassistent, als sie im Schockraum angekommen waren.
„Kennen wir ihren Namen?“ Es war May, die diese Frage stellte. James war noch immer damit beschäftigt, die Herzdruckmassage zu machen.
„Ja. Sie hatte ihren Führerschein dabei. Lorna McClelland, zweiunddreißig Jahre alt, aus Schottland. Sie ist offenbar Ärztin.“
„Wie konnte es passieren, dass sie übersehen wurde?“ Zum ersten Mal seit Lornas Einlieferung hatte James etwas gesagt.
„Ich weiß es nicht“, antwortete der Rettungsassistent. „Wir wurden vor fünfundzwanzig Minuten erneut alarmiert und sind ausgerückt. Vergessen Sie nicht, dass da draußen das totale Chaos herrscht.“
Anstelle des leitenden Notarztes musste Khan, der Anästhesist, sich um
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