Von Ratlosen und Löwenherzen
entgegenzusetzen hatte. Seine Vasallen liefen in Scharen zu Richard über.
Je verzweifelter Henrys Situation wurde, desto trotziger verkündete er, dass nur John ihm auf den Thron folgen könne und dass es natürlich John sei, der Alix heiraten werde, die sich inzwischen wahrscheinlich wie ein lebender Wanderpokal vorkam.
Doch John war ein verschlagenes und unfähiges kleines Ungeheuer und tat nichts, um seinen Vater zu unterstützen. Henry war inzwischen schwer krank und musste hilflos zusehen, wie ihm alles unter den Händen zerrann. Als Richard und PhilipAuguste die Normandie eroberten, war Henry gezwungen zu fliehen. Er wusste, dass er nun um sein Leben rannte, und er rannte unvernünftige 300 Kilometer weit bis nach Chinon in Anjou.
Am 4. Juli zitierten Richard und Philip Auguste ihn nach Azayle-Rideau und diktierten ihm ihre Bedingungen. Henry stimmte scheinbar demütig zu, flüsterte Richard aber ins Ohr: »Gebe Gott, dass ich nicht sterbe, ehe ich mich an dir gerächt habe.«
Zu schwach, um nach Chinon zurückzureiten, wurde er in einer Sänfte dorthin gebracht. Er starb zwei Tage später, nachdem er erfahren hatte, dass John, sein kleiner Liebling, zu seinen Feinden übergelaufen war.
Ein ziemlich trauriges Ende für einen höchst außergewöhnlichen und auf seine Art sicher großen Mann. Er hatte es tatsächlich fertiggebracht, sich seine Frau und alle Prinzen zu Feinden zu machen. Trotzdem war unter den wenigen, die bis zum Ende an seiner Seite blieben, ein Sohn: Geoffrey, der zukünftige Erzbischof von York und einer von Henrys Bastarden. Es hat den Anschein, dass dieser König, der ständig mit seinem Dickschädel durch die Wand musste, sich nur mit demjenigen seiner Söhne verstehen konnte, der ihm seine Macht niemals streitig machen würde.
Da das Erstgeburtsrecht inzwischen sehr in Mode gekommen war, beerbte Richard seinen Vater – vorerst unangefochten –, denn von Henrys zwei verbliebenen ehelichen Söhnen war er ja der Erstgeborene.
Diesen Abschnitt unserer Geschichte könnten wir theoretisch mit ein paar wenigen Zeilen abhandeln, denn von den zehn Jahren seiner Regentschaft hat Richard insgesamt nur ein halbes in England verbracht. Aber das wäre viel zu schade, und außerdem waren es ja nicht nur die Könige, die Geschichte machten.
Als allererste Amtshandlung, noch ehe er anlässlich seiner Krönung seine erste Stippvisite in England machte, befahlRichard die vollständige Rehabilitation seiner Mutter, und Eleanor kehrte strahlend und in großer Garderobe zurück ins Rampenlicht. Sie regierte England während Richards häufiger Abwesenheit als eine Art Vizekönigin. Sie war inzwischen siebenundsechzig – steinalt in den Augen ihrer Zeitgenossen –, aber die kalte Zugluft der Burgen, wo sie eingesessen hatte, muss eine konservierende Wirkung gehabt haben.
Richard und Philip Auguste von Frankreich lösten erst einmal ihr Gelübde ein und gingen auf den Kreuzzug. Wann heiratest du meine Schwester Alix, Richard?, fragte Philip Auguste noch, ehe sie auf unterschiedlichen Routen ins Heilige Land aufbrachen. Bald, versprach Richard. Ganz bald.
Tatsächlich segelte er aber nach Sizilien – der gängigen ersten Zwischenstation für alle Kreuzfahrer –, und dorthin brachte seine Mutter eine gewisse Prinzessin Berengaria, Schwester des Königs von Navarra, die Richard in Wahrheit heiraten wollte, um seine Macht in Aquitanien mit navarrischer Unterstützung gegen Raymond von Toulouse zu sichern.
Was ist mit Alix?, fragte Philip Auguste empört, der inzwischen ebenfalls in Sizilien eingetrudelt war. Richard winkte ab. Er behauptete – wahrscheinlich zu Recht –, Alix sei die Geliebte seines Vaters gewesen und darum eine unzumutbare Braut. Und er drohte, diesen Skandal öffentlich zu machen, wenn Philip Auguste ihn nicht aus seinem Heiratsversprechen entließ.
Philip blieb nichts anderes übrig. Aber mit der Männerfreundschaft war es aus.
Wo Richard schon mal in Sizilien war, nahm er Messina ein und schnappte es dem zukünftigen deutschen Kaiser Heinrich VI. praktisch vor der Nase weg, der Ansprüche auf ganz Sizilien erhob. So hatte Richard sich im Handumdrehen noch einen mächtigen Feind geschaffen. Aus dieser Zeit stammen die ersten Quellen, die ihn »Cœur de Lion«, also »Löwenherz«, nennen. Das war nicht schmeichelhaft gemeint, sondern solltewohl eher andeuten, dass er sich in Messina wie ein gewissenloses, wildes Raubtier aufgeführt hatte, was auch stimmt.
Richard kümmerte
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