Von Ratlosen und Löwenherzen
Normandiezurück, denn sein Exfreund, Philip Auguste, setzte jetzt alles daran, sie ihm zu entreißen. Richard kehrte nie wieder nach England zurück.
Die nächsten rund fünf Jahre verbrachte er damit, sein Reich auf dem Kontinent zu verteidigen und zusammenzuhalten. Zwischendurch schloss er gelegentlich Waffenstillstände mit Philip Auguste, und bei einer dieser Gelegenheiten durfte die arme Alix aus England nach Frankreich zurückkehren und segelte endlich, endlich in den Hafen der Ehe: Ihr Bruder verheiratete sie schleunigst mit dem Grafen von Ponthieu.
Bis 1199 hatte Richard Aquitanien für sich gesichert und auch seine Territorien im nördlichen Frankreich wieder großteils unter seine Kontrolle gebracht. Philip Auguste betrieb eine geschickte Allianz- und Heiratspolitik, aber letztlich war er Richard militärisch nicht gewachsen, was er sehr gut wusste. Zweimal im Laufe dieser fünf Jahre musste er die Beine in die Hand nehmen und um sein Leben laufen, bei der letzten dieser beiden Gelegenheiten wäre er um ein Haar in einem Fluss ertrunken.
Im Januar 1199 beschloss Richard, noch einmal auf den Kreuzzug zu gehen. Er schaltete den Papst als Vermittler für seinen Dauerstreit mit Philip Auguste ein, der inzwischen kleine Brötchen buk und auf das ganze Vexin bis auf Gisors verzichtete. Richard hatte, was er wollte, und alles schien bereit. Er ging nur noch mal schnell nach Aquitanien, wo ein abtrünniger Adliger ihm Ärger machte. Richard selbst spähte dessen Burg in Châlus-Chabrol aus, und bei der Gelegenheit traf ihn am 26. März ein Armbrustbolzen in die Schulter. Als die Wunde brandig wurde, beichtete der König seine Sünden, vergab dem Armbrustschützen und bestimmte seinen Bruder John zu seinem Nachfolger. Das muss am hohen Fieber gelegen haben.
Der König starb, nicht einmal zweiundvierzigjährig, am 6. April 1199 und wurde im Kloster von Fontevrault gleich neben seinem Vater begraben.
Ich habe Zweifel, dass die beiden Könige diesem Arrangement zugestimmt hätten, wenn man sie gefragt hätte.
Mit Richard Löwenherz’ Tod endete eine Ära, der man einen gewissen Glanz nicht absprechen kann. Oder sagen wir lieber, einen gewissen herben Charme. Und auch das 12. Jahrhundert ging zur Neige. Eine gute Gelegenheit also, innezuhalten und nachzuschauen, wie es denn eigentlich den Menschen in England seit der Eroberung ergangen war.
Fangen wir mit der guten Nachricht an: Die Sklaverei war abgeschafft. 1102 hatte Anselm, der streitbare Erzbischof von Canterbury, zusammen mit den übrigen Bischöfen ein Dekret erlassen, das den Verkauf von Engländern in die Sklaverei untersagte, und damit begann die Kaste dieser unglückseligen, rechtlosen Menschen allmählich auszusterben.
Die schlechte Nachricht kennen Sie ja schon: Die Stellung der breiten Bevölkerungsmehrheit in England verschlechterte sich mit der Einführung des Feudalsystems. Und daran war nicht nur die neue politische Ordnung schuld.
Stellen Sie sich vor, Sie wachen eines Morgens auf, gehen zur Arbeit, und Ihr Chef und dessen Chef und irgendwie alle Leute, die wichtig sind, sprechen plötzlich nur noch … na, sagen wir, sie sprechen Klingonisch. Nach einem ziemlich aufreibenden Arbeitstag – Ihr Chef hat Sie die ganze Zeit auf Klingonisch angebrüllt, weil Sie ihn nicht verstehen konnten und deswegen alles falsch gemacht haben – gehen Sie zur Polizei oder aufs Amt, um sich dort über diese Invasion Ihres Betriebs zu beschweren, aber auch da sprechen mit einem Mal alle nur noch Klingonisch. In Ihrer Verzweiflung gehen Sie in die Kirche, weil Sie allmählich das Gefühl bekommen, dass Sie geistlichen Beistand brauchen, aber auch der Pastor spricht plötzlich Klingonisch. Sie verstehen die Welt nicht mehr, und das buchstäblich.
So ungefähr müssen die Engländer sich nach der normannischen Eroberung vorgekommen sein. Die Führungsschichtenin allen Lebensbereichen waren beinah über Nacht ausgetauscht worden, und das neue Management sprach kein Wort Englisch. Deswegen hatten die Engländer auch kaum eine Chance, die politischen und gesellschaftlichen Veränderungen, die sich vollzogen, zu begreifen, geschweige denn mitzutragen. Alles passierte über ihre Köpfe hinweg. Sie wurden in ihren persönlichen Freiheitsrechten eingeschränkt, verloren das Eigentumsrecht an ihrem Land, man zwang sie, ihr Korn in den Mühlen der fremden Herren zu mahlen und ihr Brot in deren Öfen zu backen – kostenpflichtig, versteht sich. Man zwang sie sogar, auf
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