Von Ratlosen und Löwenherzen
Oktober 1216 starb. »So grauenvoll die Hölle auch sei«, schrieb ein anderer Chronist, »wird sie nun, da John dort ist, noch viel grauenvoller sein.«
Was für ein Nachruf.
Die Frauen in seinem Leben hatte König John nicht besser behandelt als den Rest der Welt. Dass er seine erste Gemahlin, Isabella of Gloucester, permanent betrog, war ja noch normal. (Wir zählen sieben Bastarde mit einer unbekannten Zahl von Mätressen.) Dass er nach der Scheidung ihre Ländereien behielt, war schon weniger akzeptabel. Noch inakzeptabler war, dass er die Frauen und Töchter seiner Lords in sein Bett zwang, wenn sie nicht freiwillig kamen. Wenn dieser Vorwurf – der mehr als einmal erhoben wurde – zutrifft, dürfte er bei der Rebellion der Barone keine unerhebliche Rolle gespielt haben.
Mit seiner zweiten Gemahlin, Isabella von Angoulême, hatte er hingegen ein gutes Verhältnis. Und das ist kein Wunder, denn die beiden waren vom gleichen Schrot und Korn.Isabella war ein richtiges Miststück. Und verrucht, heißt es. Gelegentlich nahm sie sich einen Liebhaber, die John dann vorzugsweise in ihrem Bett ermorden ließ.
Jedenfalls hatten die beiden eine muntere Schar von fünf Kindern, drei Töchter und zwei Söhne. Henry, der Älteste, war gerade neun geworden, als sein Vater starb. In aller Eile wurde er am 28. Oktober – also neun Tage nach Johns Tod – gekrönt, um den Rebellen und dem französischen Prätendenten etwas entgegenzusetzen. Dem kleinen Henry muss das alles wie ein böser Traum vorgekommen sein. Aber seiner Mutter fiel nichts Besseres ein, als ein gutes halbes Jahr nach seiner Krönung zu verschwinden, in ihre südfranzösische Heimat zurückzukehren und sowohl Henry als auch seine kleinen Geschwister einem höchst ungewissen Schicksal zu überlassen.
Hatten wir es bis eben mit einem waschechten Schurkenkönig zu tun, kommen wir nun zu einem Vertreter der Kategorie »trauriger König«. Man kann wohl sagen: Weder was die Gene noch was das familiäre Umfeld anging, hatte Henry III. von England besonders gute Startchancen, als er seine Regentschaft antrat, die mit sechsundfünfzig Jahren die drittlängste in der gesamten englischen Geschichte ist. (Jedenfalls noch. Bei Fertigstellung dieses Manuskriptes 2007 trennte die Queen – seine Enkelin mit exakt zwanzigmal »Ur« davor – noch ein Jahr davon, mit ihm gleichauf zu liegen.)
Henrys Krönung fand in Gloucester statt, weil London und Westminster es mit den aufständischen Baronen hielten, und der Bischof von Winchester setzte dem kleinen König die improvisierte Krone auf – ein Perlendiadem seiner Mutter –, weil auch der Erzbischof von Canterbury, dessen Aufgabe das eigentlich gewesen wäre, es mit den aufständischen Baronen hielt. Diese überstürzte Behelfskrönung ist ein gutes Indiz dafür, welch ein Chaos in England herrschte: Den Südosten und den Norden hielten die Rebellen – inzwischen etwa drei Viertel des Adels –, die Midlands und den Westen die Königstreuen.
Trotzdem erwies Henrys Regierungsantritt sich als Chance zu einem Neuanfang. Das war vor allem zwei Männern zu verdanken: William Marshall, Earl of Pembroke, wurde zum Regenten für den minderjährigen König ernannt. Er war ein sehr alter Mann, der schon Henry II. treu gedient hatte, und seine Altersweisheit verbunden mit seinen Großvaterqualitäten führte dazu, dass beide Konfliktparteien ihn gleichermaßen schätzten. Der zweite war Hubert de Burgh, den John auf Druck der Barone zum Justiciar erhoben hatte. (Das war seit der normannischen Eroberung das wichtigste Amt in der königlichen Regierung, aber Sie brauchen sich den Begriff nicht zu merken, denn schon bald wurde das Amt des Justiciar vom Treasurer und dem Chancellor verdrängt.) Marshall und de Burgh gelang es, innerhalb der ersten beiden Monate nach der Krönung immerhin achtzehn der rebellierenden Barone umzustimmen, denn sie machten im Gegenzug Zugeständnisse im Namen des Königs, und die »Magna Charta« wurde – in leicht abgeänderter Form – ratifiziert, was den Aufständischen viel Wind aus den Segeln nahm. Im Jahr darauf besiegte Marshall die Rebellen bei Lincoln, und im August griff de Burgh die Nachschubschiffe des französischen Kronprinzen an – der immer noch in England weilte und hoffte, die Krone zu ergattern – und zwang sie zur Umkehr. Da verlor Prinz Louis allmählich den Spaß an der Sache. Vielleicht hatte er auch in Ermangelung französischen Nachschubs einmal englischen Wein probieren
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