Von Ratlosen und Löwenherzen
Thron zu hieven. Ein Chronist erzählt, John habe Befehl gegeben, Arthur im Kerker zu blenden, damit er nicht mehr zum König taugte, aber die Wachen hätten sich geweigert, die Tat auszuführen. (Erinnern Sie sich? Die gleiche Idee hatte Godwin, Earl of Wessex, rund zweihundert Jahre zuvor auch schon, und ein angelsächsischer Prinz verlor erst sein Augenlicht und dann sein Leben.)
Ob der Vorwurf in Johns Fall zutrifft, ist nicht sicher. Und genauso ungewiss ist, was genau sich am Gründonnerstag, dem 3. April 1203, auf der Burg von Rouen ereignete. Ob König John tatsächlich, wie eine Quelle erzählt, betrunken und »vonbösen Geistern geleitet« zu seinem Neffen ging, ihn mit einem Stein erschlug und dann in die Seine warf. Oder ob er diesen heiklen Prinzenmord nicht doch lieber delegiert hat.
So oder so, für Arthur war der Ausgang derselbe. Er starb eine knappe Woche nach seinem sechzehnten Geburtstag.
König John bei einem seiner erfolglosen Feldzüge
Erwartungsgemäß war diese Bluttat nicht segensreich für das Verhältnis zwischen dem König von England und dem französischen Adel. Als John im Dezember 1203 nach England zurückkehren musste und im Frühjahr darauf seine Mutter starb, brachen die letzten Dämme. Philip Auguste gewannzunehmend die Oberhand, und über die nächsten zwei Jahre verlor John die Normandie, Anjou und alle anderen französischen Territorien, die seine Vorgänger durch Erbschaft, Eroberung und kluge Politik gewonnen hatten. Nur die Gascogne – einen kleinen Teil Aquitaniens – konnte er behaupten. Das war ein kümmerliches Restchen, und Johns Beiname »Ohneland« passte besser denn je. Die Franzosen gaben ihm trotzdem noch einen zweiten und nannten ihn John »Weichschwert«, weil er auf dem Schlachtfeld eine totale Niete war und sich praktisch alles abknöpfen ließ, was sein Bruder und sein Vater mit solcher Bravur beherrscht hatten.
Somit blieb John nur noch England als Spielwiese, und nachdem er begann, ihm seine ungeteilte Aufmerksamkeit zu schenken, dauerte es nicht lange, bis er auch dort eine Katastrophe nach der anderen anrichtete. In drei Disziplinen tat er sich besonders hervor: Er schröpfte seine Untertanen mit einer Rücksichtslosigkeit und Härte, die ihresgleichen suchte (dabei waren die Engländer in der Hinsicht wirklich allerhand gewöhnt, nachdem sie die ehrgeizige Expansionspolitik der normannischen Könige und Richards Lösegeld bezahlt hatten), er nahm die Familien seiner politischen Widersacher als Geiseln – vorzugsweise Kinder – und brachte sie um, wenn die Dinge nicht so liefen, wie er sich das vorstellte, und er entzog seinen Untertanen den Beistand und Trost der Kirche, weil er ein Interdikt auf sich und sein schwer geprüftes Land herabbeschwor.
Der Streit mit Papst Innozenz III. begann 1207 und machte sich wieder einmal an der Frage fest, wer den verstorbenen Erzbischof von Canterbury ersetzen sollte. Der Papst hielt nichts von Johns Kandidat, suchte kurzerhand selbst einen aus, weihte ihn in Rom zum Erzbischof und schickte ihn nach England. Da das wahlberechtigte Domkapitel dieses unerhörte Verfahren zahm abgenickt hatte, verbannte John die Kapitelherren samt und sonders aus England. Es gab ein großes Gezeter aufbeiden Seiten, welches damit endete, dass der Papst im Frühling 1208 das Interdikt über England verhängte und den König im November 1209 exkommunizierte.
Pah!, machte John, mir doch egal. Vielleicht ahnte er, dass ein Mistkerl wie er, der seinen eigenen Neffen auf dem Gewissen hatte, sowieso keine besonders guten Chancen hatte, in den Himmel zu kommen. Und außerdem befand er sich in bester Gesellschaft: Der deutsche Kaiser Otto IV. und der mächtige Graf Raymond von Toulouse – beide Johns Cousins und Verbündete – waren ebenfalls exkommuniziert. Das war mit einem Mal regelrecht chic geworden. Dass die Menschen in England unter dem Kirchenbann furchtbar litten, raubte John nicht den Schlaf. Er stellte fest, dass der Abzug der Bischöfe (die das Land verlassen hatten wie die Ratten das sinkende Schiff) durchaus seine Vorzüge hatte: Er beschlagnahmte ihre Ländereien und strich deren Einkünfte für sich ein.
John war besessen davon, die verlorenen Gebiete in Frankreich zurückzuerobern. Um seine Kriegskassen zu füllen und sowohl sein Ansehen als auch sein Ego zu polieren, versuchte er, Irland, Wales und Schottland unter seine Kontrolle zu bringen. 1209 führte er eine Armee nach Norden und machte Anstalten, in Schottland
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