Von Ratlosen und Löwenherzen
Urteil auf eine kürzere Verbannungsdauer herunterzuhandeln. Doch im Februar 1399 starb Lancaster, und statt seinen Cousin als neuen Duke of Lancaster aus dem Exil zurückzuholen, wandelte König Richard Henry Bolingbrokes Verbannung in lebenslänglich um und zog sein beachtliches Vermögen und seinen noch beachtlicheren Grundbesitz für die Krone ein.
Henry Bolingbroke hatte nicht die Absicht, sich das gefallen zu lassen. Er wartete, bis Richard auf einen Feldzug nach Irland ging, dann kehrte er mit einigen treuen Freunden aus Frankreich zurück und landete Anfang Juli in Ravenspur. Eigentlich war er nur gekommen, um sich sein Erbe zu holen.Aber dann begannen die Ereignisse sich zu überschlagen und eine gewisse Eigendynamik zu entwickeln.
Während Henry nach Süden zog, schwollen seine Reihen an. Richard hingegen, der überstürzt aus Irland zurückkam, um neue Truppen auszuheben, fand so gut wie niemanden mehr, der noch für ihn ins Feld ziehen wollte. Kampflos fiel er Henry im August in Chester in die Hände, wurde nach London gebracht und fürs Erste im Tower … einquartiert.
Im September trat in Westminster ein Parlament zusammen und setzte König Richard ab, dem der guten Form halber die Möglichkeit eingeräumt wurde, freiwillig abzudanken. Das tat er auch, weil ihm ja gar nichts anderes übrig blieb, besiegt und allein, wie er war. Dann trug das Parlament Henry Bolingbroke die Krone an, und am 13. Oktober 1399 wurde er zu Henry IV. von England gekrönt.
Genau wie zweiundsiebzig Jahre zuvor sein Urgroßvater erwies sich auch der abgesetzte Richard als zu gefährlich für den neuen Machthaber: Während der Weihnachtsfeierlichkeiten wurde ein Anschlag auf König Henry und seine Familie verübt, und wenig später wurde Richard nach Pontefract Castle verfrachtet und dort in aller Stille ermordet.
Ein unrühmliches Ende für das Geschlecht der Plantagenet, die fast zweihundertfünfzig Jahre lang Englands Könige gestellt und spektakuläre Nieten ebenso wie Lichtgestalten hervorgebracht hatten.
Mit Henry IV. begann nicht nur eine neue Dynastie, sondern wieder einmal sind wir an einer Jahrhundertwende angekommen. Eine gute Gelegenheit also, um nachzusehen, was sich abgesehen von den Misse- und Ruhmestaten der Könige und Fürsten noch so getan hatte in England.
Das dreizehnte, vor allem jedoch das vierzehnte Jahrhundert brachte eine Vielzahl sozialer und kultureller Veränderungen mit sich. Zu den radikalsten gehörten die Entstehungeines Bürgertums und der damit einhergehende Aufstieg der Städte. Das galt in ganz besonderem Maße für London, das zu Beginn des 14. Jahrhunderts sage und schreibe 50 000 Einwohner zählte. Ein Kaff, denken Sie vielleicht, aber das war immerhin rund ein Prozent der Gesamtbevölkerung. Das Areal innerhalb der Stadtmauern betrug etwa zweieinhalb Quadratkilometer, was eine Bevölkerungsdichte von 20 000 pro Quadratkilometer bedeutet. Zum Vergleich: In Köln leben heute etwa 6000 Menschen auf einem Quadratkilometer. Vom ländlichen Charakter des Stadtbildes kann also keine Rede mehr sein. Die Menschen und ihr Vieh lebten unvorstellbar dicht aufeinander in meist zweigeschossigen, mehrheitlich aus Holz gebauten Häusern. Die hygienischen Verhältnisse waren dementsprechend abenteuerlich, aber nicht so schlimm, wie oft angenommen und behauptet wird. Es gab öffentliche Wasserleitungen, deren Verunreinigung unter Strafe stand, und sogar öffentliche Toiletten, deren Pflege und Instandhaltung vom Stadtrat überwacht wurden.
Die Pestwellen um die Mitte des 14. Jahrhunderts halbierten die Stadtbevölkerung, aber wegen der großen Landflucht jener Zeit war sie um die Wende zum 15. Jahrhundert schon wieder etwa auf ihr altes Maß angestiegen.
Je wichtiger die Zolleinnahmen aus dem internationalen Handel für die Finanzen der Krone wurden, desto mehr rückten die Kaufleute ins Blickfeld der Herrschenden, und im gleichen Maße wuchs das Bewusstsein ihrer eigenen Wichtigkeit.
Die Kaufleute waren, nach Branchen unterteilt, in Gilden organisiert, die teilweise schon in angelsächsischer Zeit entstanden waren, und diese Gilden regelten das Geschäftsgebaren, aber auch den sozialen, religiösen und politischen Alltag ihrer Mitglieder. Bei ihren Zusammenkünften und Festlichkeiten wurden Ehen ebenso eingefädelt wie Geschäfte, politische und finanzielle Coups geplant, es wurde gemeinsam gebetet und gefeiert, und wenn ein Mitglied starb, kümmerte die Gilde sich um die Beerdigung,
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