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Von Ratlosen und Löwenherzen

Von Ratlosen und Löwenherzen

Titel: Von Ratlosen und Löwenherzen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rebecca Gablé
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sich einem umfangreichen und ziemlich komplexen Wertekatalog unterwerfen. Tapferkeit gehörte dazu, Höflichkeit, Aufrichtigkeit, Frömmigkeit, Mäßigung und Streben nach Perfektion in allen Lebensbereichen, körperliche wie charakterliche Stärke und hohe Waffenkunst, Schutz der Schwächeren und so weiter und so fort, und gutSchach spielen können mussten sie auch noch. Dieser Kodex hinderte die edlen Ritter nicht daran, französische Städte zu plündern, französische Zivilisten abzuschlachten und französische Nonnen zu vergewaltigen, aber ernst nahmen sie ihn irgendwie trotzdem. Welche Rolle er in der Gesellschaft spielte, sieht man schon daran, dass so viele dieser Werte heute noch Gültigkeit haben und »Ritterlichkeit« auch für uns ein eher positiver Begriff ist.
    Doch auch für diese »wahren« Ritter änderten sich die Zeiten, vor allem, nachdem König Edward und der Schwarze Prinz gestorben waren und der lukrative Krieg ins Stocken geriet. Sie mussten feststellen, dass man Ritterlichkeit nicht essen kann und die wirtschaftlichen Folgen der Pest dazu führten, dass ihre oft bescheidenen Landgüter ihren Lebensstandard nicht mehr sicherten. Also fingen sie an, Schafe zu züchten und die Wolle an die Kaufleute zu verhökern. Dann wurden sie noch schlauer, kauften eigene Schiffe und brachten die Wolle selbst auf den Kontinent oder schickten sie zum Veredeln nach Salisbury oder Norwich, um dann das fertige Tuch zu exportieren.
    Aus Kaufleuten wurden Ritter – aus Rittern wurden Kaufleute. Die Grenzen zwischen den gesellschaftlichen Schichten waren durchlässiger geworden.
    Das wohl beeindruckendste Beispiel dafür ist Michael de la Pole. Sein Vater, William, war ein märchenhaft reicher Kaufherr aus Hull in Yorkshire und ein Schurke gewesen, der zu den größten Geldgebern König Edwards III. gezählt hatte. Dadurch wurde der Kontakt zur königlichen Familie geknüpft, und sobald Michael alt genug war, verabschiedete er sich von dem kaufmännischen Milieu, in welches er hineingeboren worden war, und zog mit dem Schwarzen Prinzen und John of Gaunt, dem Duke of Lancaster, in den Krieg. Er machte eine ausgesprochen gute Figur, wurde von Lancaster mit Ländereien belohnt und auf diplomatische Missionen geschickt, und der junge König Richard II. erhob Michael de la Pole schließlich in den Adelsstand und zu seinem Lord Chancellor. Bei diesem Amt bewies de la Pole keine besonders glückliche Hand, undgegen den Willen des Königs wurde er per »Impeachment«-Verfahren abgesetzt. Aber Tatsache bleibt: Aus dem Krämerssohn war der Earl of Suffolk geworden.
    Auch auf dem Land hatte sich einiges getan. Der Versuch, die gesetzliche Abschaffung der Leibeigenschaft durch die Bauernrevolte zu erzwingen, war gescheitert, wie wir gesehen haben. Aber nach und nach verlor sie immer mehr an Bedeutung, weil die Pest und einige andere Veränderungen die Landwirtschaft radikal umkrempelten. Trotz der Gesetzgebung, die genau das verhindern wollte, verließen leibeigene Bauern ihre angestammte Scholle, zogen ein paar Kilometer weiter in die nächste oder übernächste Grafschaft und ließen sich dort als freie Pächter nieder. Bald bestand ein solcher Mangel an landwirtschaftlichen Arbeitskräften, dass viele Grundherren ihre Gutsbetriebe aufgaben oder in Weideland umwandelten, da Schafzucht lukrativer und weniger personalintensiv war. Durch die Zunahme der Schafzucht wurden die Böden besser gedüngt, und die Ernteerträge, die so lange rückläufig gewesen waren, verbesserten sich wieder. Mehr Gemüse als in vergangenen Jahrhunderten wurde angebaut, auch mehr Gerste, weil der Bierkonsum anstieg. Ganz allmählich hob sich der Lebensstandard, auch auf dem Land, wo Wirtshäuser in immer größerer Dichte entstanden. Dort fanden die Bauern sich nach getaner Arbeit oder an Sonn- und Feiertagen (von denen es viele gab) zusammen, würfelten und tranken Bier, und am Sonntag nach dem Kirchgang spielten sie Fußball und Handball und Tennis, obwohl der König mit immer neuen Gesetzen versuchte, das Bogenschießen als alleinigen Freizeitsport durchzusetzen.
    Von dem anhaltenden Mangel an Arbeitskräften profitierten auch die Frauen in Stadt und Land. Es geschah nicht mehr automatisch, dass eine Frau in jungen Jahren verheiratet wurde, sondern gar nicht wenige suchten sich Arbeit in der Stadt. Manche lernten ein Handwerk und arbeiteten im elterlichen Betrieb mit. Auch im Geschäftsleben, vor allem im Seidenhandel, gab es erfolgreiche und

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