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Von Ratlosen und Löwenherzen

Von Ratlosen und Löwenherzen

Titel: Von Ratlosen und Löwenherzen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rebecca Gablé
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englischen Geschichte ein neues Kapitel an. Und das ist auch sinnvoll, denn nach dem Sieg der Normannen war in England nichts mehr wie vorher.
    Schlacht von Hastings im Teppich von Bayeux
    Doch bevor wir uns diesem neuen Kapitel zuwenden, das William aufschlug, wollen wir noch einen Blick auf Land und Leute im angelsächsischen England werfen. Dabei ist es schwierig, allgemeingültige Aussagen zu treffen, denn wir haben es hier mit einer Epoche zu tun, die 600 Jahre währte. Vor der Christianisierung waren die sozialen und gesellschaftlichen Verhältnisse natürlich anders als danach, und Gesetze und Bräuche entwickelten sich in den Landesteilen, die lange unter dänischem Einfluss standen, ganz anders als beispielsweise in Kent. Trotzdem versuchen wir es mal.
    Die überwältigende Mehrheit der Bevölkerung waren Bauern. Arme Bauern wohnten mit ihren Familien in einräumigen Holzhütten und bestellten eine Scholle, die meistens ihr Eigentum, aber nicht immer groß genug war, um eine Familie zu ernähren. Für diese Menschen waren jede schlechte Ernte und jeder harte Winter lebensbedrohlich. Reiche Bauern wohnten in komfortableren, ebenfalls aus Holz gebauten Häusern. Wenn sie es auf einen Landbesitz von 5 Hufen brachten (je nach Gegend zwischen 125 und 250 Hektar), eine eigene Kirche bauten und ein paar andere Kriterien erfüllten, konnten sie in den niederen Adel aufsteigen und ein Thane werden. Die gesellschaftlichen Grenzen waren etwas durchlässiger als in späteren Zeiten. Ein Thane schuldete dem König Wehrdienst sowie Hilfe bei der Instandhaltung der königlichen Festungen und der Brücken. Er lebte mit seinem Haushalt in einer hölzernen Halle, in der die Mahlzeiten eingenommen, Gäste empfangen und alle Tätigkeiten verrichtet wurden, die nicht im Freien stattfanden. Die Gefolgsleute und Dienerschaft des Thane schliefen auch in dieser Halle, während der Hausherr und die Seinen meist in abgetrennten Räumen oder separaten Gebäuden nächtigten. Der Begriff »Privatsphäre« war allerdings noch nicht erfunden, und das Leben eines jeden Einzelnen war meist eine öffentliche Angelegenheit.
    Reiche und arme Bauern bewirtschafteten in der Regel offene Felder, das heißt, der einzelne Bauernhof war nicht vonden dazugehörigen Äckern umgeben, sondern die Häuser bildeten ein dörfliches Zentrum, und die umliegenden Flächen wurden in lange, schmale Streifen unterteilt, von denen den Armen zwei, den Reicheren oft eine große Zahl gehörte. Diese Ackerstreifen wurden erst in Zwei-, später in Dreifelderwirtschaft bestellt.
    Die unterste Sprosse der gesellschaftlichen Leiter nahmen die Sklaven ein, die juristisch nicht mit anderen Menschen, sondern mit Kühen und Schweinen auf einer Stufe standen. Viele Sklaven waren Kriegsgefangene, aber auch durch Verarmung konnte man in die Unfreiheit geraten.
    Ihre Streitigkeiten regelten die freien Bauern auf regelmäßig stattfindenden Versammlungen. Um schwierigere Fälle kümmerte sich der scir-gerefa , ein Adliger, der praktisch das Auge und Ohr des Königs in einer Grafschaft war und aus dem sich später der Sheriff entwickelte (wenn Sie mal genau hingucken, werden Sie sehen, dass die Wörter miteinander verwandt sind). Hatte ein freier Mann einen anderen freien Mann getötet, wurde er in der Regel nicht hingerichtet. Die Angelsachsen hatten sich schon früh vom germanischen Blutracheprinzip verabschiedet und stattdessen das Wergeld eingeführt ( Wer heißt »Mann«, also Manngeld). Dieses Wergeld war genau festgelegt (aber je nach Landstrich verschieden) und bemaß sich nach der gesellschaftlichen Stellung des Einzelnen. So betrug das Wergeld für einen Thane beispielsweise 1200 Schilling, für einen einfachen Bauern 200. Wer einen Bauern tötete, musste dessen Hinterbliebenen also 200 Schillinge Wergeld bezahlen, und zwar nicht irgendwann einmal, sondern spätestens bei der Beerdigung. Wer einen anderen verstümmelte – versehentlich oder absichtlich –, musste einen je nach Art der Verstümmelung unterschiedlichen Teilbetrag zahlen. Nur wenn die Zahlung des Wergeldes ausblieb, durfte die geschädigte Partei Blutrache üben. Es war ein für diese frühe Zeit erstaunlich humanes und »modernes« Rechtssystem, von dem die Sklaven allerdings ausgeschlossen waren. Wer einen Sklaven tötete, musste keinWergeld, sondern Schadensersatz in Höhe des »Marktwertes« leisten, meistens ein Pfund, den Preis für acht Ochsen. Für Rechtsverstöße, die ein Sklave beging, war

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