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Von Ratlosen und Löwenherzen

Von Ratlosen und Löwenherzen

Titel: Von Ratlosen und Löwenherzen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rebecca Gablé
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dessen Besitzer verantwortlich. Zahlte er kein Wergeld, wurde der Sklave je nach Schwere des Vergehens ausgepeitscht, verstümmelt oder hingerichtet. Die Gesetze Alfreds des Großen, die von christlichen Prinzipien geprägt waren, besserten ihre Lage indes ein wenig: Sie durften sich in ihrer Freizeit Geld verdienen, an vier Tagen im Jahr Dinge verkaufen, die sie selbst hergestellt hatten, und wer Glück hatte, bekam so genug Geld zusammen, um sich freizukaufen.
    In einem der lateinischen Werke, die Alfred der Große ins Angelsächsische übersetzen ließ, steht geschrieben, die Menschen unterteilen sich in drei Gruppen: Arbeiter (gemeint sind Bauern), Beter (Mönche und Priester) und Krieger.
    Von der ersten Gruppe habe ich schon erzählt.
    Die angelsächsischen Kirchenmänner verstanden sich nicht allein als Hirten der anderen beiden Gruppen. Äbte und Bischöfe gehörten zu den mächtigsten Männern im Land, denn einem frommen König blieb gar nichts anderes übrig, als auf sie zu hören. Schließlich waren sie ja diejenigen, die den Draht nach oben hatten. Außerdem waren sie die einzigen Menschen, die lesen und schreiben konnten. (Alfred der Große war eine Ausnahme. Meistens waren auch die Könige Analphabeten). Diese Fähigkeit unterstrich den Status der Kirchenmänner als Mittler zwischen Gott und dem Volk, denn Gottes Wort stand ja in einem Buch. Außerdem machte es sie zu unverzichtbaren Pfeilern der königlichen Verwaltung und zu Bewahrern der kulturellen Entwicklung. Sie bauten zur Ehre Gottes Kirchen aus Stein, die teilweise heute noch stehen und fast die einzigen erhaltenen Belege für die englische Architektur jener Zeit sind. Die Angelsachsenchronik , der wir heute einen Gutteil unseres Wissens über diese Epoche verdanken, wurde parallel in sechs Klöstern gleichzeitig geführt. Auch die angelsächsische Dichtung entstand mehrheitlich in Klöstern, und die Kunst derBuchherstellung war in England so weit entwickelt, dass diese Werke auch auf dem Kontinent beliebt waren.
    Zwischen den feinen Bischöfen und gelehrten Äbten einerseits und den einfachen Priestern auf dem Land andererseits bestanden allerdings Unterschiede, die so groß waren wie die zwischen König und Bauer. Die niederen Vertreter des Klerus waren meist selbst einfache Leute, die oft nicht lesen und kaum Latein konnten und ebenso an Feen und Waldgeister glaubten wie ihre Schäfchen. Sie waren verheiratet und bestellten ihre Felder genau wie der Bauer von nebenan.
    Die angelsächsische Epoche war eine kriegerische: In den drei Jahrhunderten der Heptarchie bekriegten die Angeln und Sachsen sich gegenseitig, und als sie sich endlich einig geworden waren, kamen die Wikinger. So ist es nicht verwunderlich, dass der dritten Gruppe der Gesellschaft, den Kriegern, eine ganz besondere Rolle zufiel. Schon Tacitus, der im ersten Jahrhundert nach Christus Germanien bereiste und seine Beobachtungen aufschrieb, äußerte sich voller Bewunderung über den Kriegerkult der Germanen. Und auch bei den Angelsachsen war es noch so, dass es vielen Männern als die größte nur vorstellbare Ehre galt, für einen Herrn zu kämpfen. Dabei spielte es keine große Rolle, ob dieser Herr ein König oder einfach der Kerl mit den meisten Schweinen in der Gegend war. Die Krieger schlossen sich ihrem Herrn an, lebten in seiner Halle, trugen seine Streitigkeiten aus und durften im Gegenzug erwarten, dass er sie mit Waffen und Gold belohnte. In Schande geriet, wer die Schlacht überlebte, in der sein Herr gefallen war, denn er hatte sich bei dessen Verteidigung offenbar nicht genug ins Zeug gelegt, will heißen, seinen Herrn nicht unter Einsatz seines Lebens verteidigt (oder wenigstens gerächt). Für viele stand die Bindung an ihren Herrn über der an die eigene Sippe, und es war selbstverständlich für einen Krieger, mit seinem Herrn ins Exil zu gehen, wenn der einen Kampf verloren hatte, und alle persönlichen Bindungen auf unbestimmte Zeit zu kappen. Dieser besondere Ehrenkodex der Kriegerkaste gehörte zurLebensrealität der angelsächsischen Epoche und durchzieht ihre Dichtung wie ein roter Faden.
    Der Oberste in der Hierarchie der Krieger war natürlich der König. Seine Rolle wandelte bzw. erweiterte sich im Zuge der Christianisierung, doch die Vorstellung, dass einer unter ihnen das Sagen haben und eine Sonderstellung einnehmen müsse, brachten die Angelsachsen schon vom Kontinent mit. Um diese Sonderstellung zu legitimieren, leiteten die heidnischen Könige

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